Die „Goldene Palme“ für Michael Haneke und „Amour/Liebe“ war keine Überraschung. Ein großartiger Film erster Güte, der seinesgleichen in der Filmgeschichte sucht. Eine der bleibenden künstlerischen Auseinandersetzungen mit Sterben und Tod in unserer Zeit – jenseits aller Geriatrie-Sentimentalitäten. Noch geschlossener und künstlerisch ausgereifter, als „Das weiße Band“, für den der Regisseur 2009 ebenfalls die „Goldene Palme“ bekommen hat. Ein kleines bißchen vom Palmenglanz fällt auch auf den (diesmal freilich minoritären) deutschen Koproduzenten Stefan Arndt von „X-Filme“. Nicht bei allen zur Verfügung stehenden Preisen hatte die internationale Jury unter Vorsitz des italienischen Schauspielers und Regisseurs Nanni Moretti eine so glückliche Hand wie bei Haneke.
Komplett daneben die Auszeichnung mit dem „Grand Prix“ für Morettis Landsmann Matteo Garrone und seinen albernen Neorealismuswiederbe-lebungsversuch „Reality“: ein armer Fischer möchte unbedingt ins „Big Brother“-Haus und damit ins Fernsehen…
Stirnrunzeln auch was die „Palme“ für die „Beste Regie“ angeht: für den Mexikaner Carlos Reygades und seine kunstgewerbliche Erlösungsorgie „Post tenebras lux“. Dieser Filmemacher gehört zu denen, die sich bei ihren Arbeiten selbstverliebt um die eigene Achse drehen und dabei die Frustationstoleranz des Zuschauers ziemlich strapazieren.
Nicht nachvollziehbar schließlich die Kür Mads Mikkelsen zum „Besten Hauptdarsteller“ für seine Rolle als vermeindlicher Pädophiler in Thomas Vinterbergs unerfreulichem „Jagten“. Da hat wohl der Star-Bonus des vielbeschäftigten Schauspielers den Ausschlag gegeben. Schauspielerisch sah man bei diesen Filmfestspielen bessere Leistungen. Zum Beispiel von dem unbekannten Matthias Schoenaerts in Jacques Audiards völlig übergangenem „De rouille et d’os“.
Bei der Palme für die „Beste weibliche Hauptrolle“, kann man dagegen durchaus zufrieden sein – sie geht ex aepuo an die beiden Hauptdarstellerinnen in „Hinter den Hügeln“ von Cristian Mungiu Cosmina Stratan und Cristina Flutur. Große Leistungen in einem außergewöhnlichen Film – für den der Regisseur immerhin als „Bester Drehbuchautor“ gewürdigt wurde – nach der „Goldenen Palme“ 2007 für „4 Monate, drei Wochen, 2 Tage“.
Verdienter Maßen auch der „Große Preis der Jury“ an den unermütlichen Ken Loach und seinen menschenfreundlichen „The Angel’s share“. Aber wie das so ist mit Jury-Entscheidungen: sie sind subjektiv, die Kompetenz der Juroren meistens zweifelhaft und wenig aussagekräftig was die Qualität insgesamt eines Filmfestivals betrifft!
Diesmal war die Jury-Arbeit in Cannes besonders herb! Angesichts des durchgängig hohen Niveaus konnte bestenfalls ein Orakel befragt werden. Dabei haben die Damen und Herren wirklich ihr Bestes gegeben… So wollen wir Milde walten lassen.
Zumal Jurorin Diane Kruger sich wohl zum guten Schluss bei der Höhe ihrer Highheals verschätzt hat und beim stöckelnden Auftritt auf den Stufen zur Preisverleihung fast den Knöchel gebrochen hätte. Da muß sie noch etwas üben und den Reifrock, den sie in ihrer letzten Rolle als Marie-Antoinette in „Leb wohl, meine Königin“ (Startet nächste Woche in den deutschen Kinos) getragen hat, beim nächsten Mal doch lieber in der Requisite lassen. Ausgesprochen sexy das Outfit von Juror Jean Paul Gaultier: ein bodenlanger geschlitzter Hosenrock mit Kniestrümpfen… Das scheint luftig und könnte sich für heiße Sommertage auch für das männiche Personal im SWR eignen. Weniger in Stuttgart natürlich, aber im schicken Baden-Baden schon…
So lernt der Mensch in Cannes bei jeder Gelegenheit dazu!