Sowohl Ken Loach (78) als auch Xavier Dolan (27) bleiben bei ihren „Leisten“: Der junge Kanadische Alleskönner arbeitet sich nach „J’ai tué ma mère“ (2009) und „Laurence Anyways“ (2012) mit „Mommy“ ein weiteres Mal an einem schwierigen Mutter/Sohn-Verhältnis ab! Sein britischer Kollege Ken Loach hat mit „Jimmy’s Hall“ noch einen Aspekt zum Ausbruch des Jahrzehnte währenden Irischen Bürgerkriegs gefunden, der bisher noch nicht im Kino erzählt wurde. Mit seiner gewohnten Könnerschaft konzentriert sich Loach diesmal auf einen lokalen Konflikt und eine reale Persönlichkeit der Zeitgeschichte: James „Jimmy“ Gralton (1886-1945).
Als Kommunist emigriert Gralton in die USA und wird amerikanischer Staatsbürger. 1932 kommt er zurück in sein kleines irisches Heimatdorf. Mit Freunden baut er ein Gemeinschaftshaus – Jimmy’s Hall – für gesellige Veranstaltung. Daran nimmt der örtliche Pfarrer Anstoß und veranstaltet eine regelrechte Hexenjagd auf Jimmy und seinen „Sündenpfuhl“.
Dabei findet er Unterstützung durch den Adel, dem Jimmys linke Ideen vom Klassenkampf ein Dorn im Auge ist. Eindrücklich, wie es nur ihm gelingt, schildert Ken Loach in „Jimmy’s Hall“ wie Engstirnigkeit und grenzenlose Arroganz eine gespannte gesellschaftliche Atmosphäre zum Krieg führt.
Filme solchen Inhalts kennt man zur Genüge – nicht nur von Ken Loach selbst. Insofern hat „Jimmy’s Hall“ etwas Redundantes und ist insgesamt nicht ganz so überzeugend gelungen, wie „The wind that shakes the barley“ („Goldene Palme“ 2006). Aber dennoch ein ansehenswerter Film mit einer Aussage, die man nicht oft genug wiederholen kann: Wehret den Anfängen…
Die Protagonisten in den Filmen des Kanadischen Wunderknaben Xavier Dolan haben keine Zeit, sich um Politik zu kümmern. Sie haben genug damit zu tun, ihr kleines Leben einigermaßen im Lot zu halten: in „Mommy“ heißt er Steve, ist 15 und hat ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung) und zwar derart ausgeprägt, dass er bei Aggressionsschüben nicht gebremst werden kann. Ansonsten ist Steve ein lieber Junge, der seine allein erziehende Mutter Die vergöttert.
Aber Die ist von Steve überfordert, was sich in hysterischen Ausbrüchen manifestiert. Sie ist nicht einmal in der Lage, darüber zu wachen, dass er regelmäßig seine Medikamente nimmt. Beide sind deshalb froh, dass sich die neue Nachbarin Kyla mit ihnen anfreundet. Eigentlich hätte sie mit ihrer eigenen Familie genug zu tun.
Die fragile Beziehung ist nicht gerade hilfreich, Steves labile Seelenlage zu stabilisieren. Alle in „Mommy“ sind in einem emotionalen Käfig eingesperrt. Der Regisseur macht das äußerlich überdeutlich, in dem er das normale Filmbild auf ein Drittel beschränkt und nur für wenige Minuten die Handlung über die gesamte Leinwand zulässt. Ob sein Film das nötig hat, ist fraglich.
Aber die formale Spielerei nimmt man hin, angesichts der überzeugend dargestellten Hilflosigkeit im Umgang mit einem ADHS-Kind. „Mommy“ macht die fatalen Folgen mütterlicher Overprotaction deutlich; – Mit ausgezeichneten Schauspielern – vor allem Antoine-Olivier Pilon als Steve – interessantem Musikeinsatz und ungewöhnlicher Atmosphäre. Es ist davon auszugehen, dass Dolan ebenso Loach nicht ohne Auszeichnung von Cannes nach Hause fahren wird…