Cannes hübscht auf: der Bahnhof wird immer noch saniert. Die Bausünde aus den 1970er Jahren – unter einer Stadtautobahn gelegen – soll schöner werden. Mit viel Glas und einem roten Plüschplafont in der Empfangshalle. Damit die Stimmung der Reisenden nicht über Gebühr unter den Bauarbeiten leidet, steht da ein Klavier. Jeder darf es benutzen – vom Virtuosen bis zum Dilettanten. Eine ältere Dame spielte Chopin und bekommt artig Applaus: Das ist halt Frankreich! Ob die Idee Schule macht…? Zum Beispiel in Stuttgart?
In der geographischen Nähe bleibt das „Festival de Cannes“ mit dem diesjährigen Eröffnungsfilm „Grace of Monaco“. Ein Biopic wie es im Buche steht. Ein bisschen Glamour mit einer Hauptdarstellerin, die sich auf dem Roten Teppich prächtig macht: Nicole Kidman – scheu und etwas blass, wie sich das für Stars aus dem tragischen Fach gehört.
Mehr kann man ja von einem Festivalauftakt nicht erwarten. Da darf es angesichts des geladenen Klientels aus Wirtschaft und Politik schon etwas schlichter als im restlichen Programm zu gehen…. Gleichzeitig gibt es etwas geschichtlichen Nachhilfe-Unterricht. Damit der Smoking, das lange Schwarze, nicht ganz umsonst aus dem Schrank geholt wurde. Immerhin geht es in dem Film um Menschen von Adel:
Fürst Rainier III. von Monaco heiratet 1956 den amerikanischen Filmstar Grace Kelly. Die Traumhochzeit des Jahrzehnts. Hinter den Kulissen steht die Ehe zwischen den Beiden aber unter keinem guten Stern. Auch die drei Kinder haben es nicht leicht. Man denke nur den Flegel, mit dem die schöne Caroline verheiratet ist… Gut, das dass Mama nicht mehr erleben musste!
Die Rolle der „Landesmutter“ in der Steueroase Monaco fällt Fürstin Gracia Patricia Anfangs schwer. Als kühle Blonde wirkt sie auch im richtigen Leben so entrückt wie in den Filmen Alfred Hitchcocks, mit dem sie dreimal zusammen gearbeitet hat.
Als tragische Figur der Zeitgeschichte wird Grace Kelly auch in den zahlreichen Büchern über sie beschrieben z. B. vom Kollegen Thilo Wydra. Jetzt ist mit „Grace of Monaco“ zum ersten Mal ein Film über ihr Leben bei Hofe gedreht worden, mit Nicole Kidman in der Titelrolle.
Bevor er heute die diesjährigen „Filmfestspiele von Cannes“ eröffnet, hat es um die internationale Koproduktion bereits jede Menge Ärger gegeben: der amerikanische Produzent Weinstein wünscht eine andere Schnittfassung als der französische Regisseur Olivier Dahan. Das Haus Grimaldi spricht gar von „Verunglimpfung“ der Fürstin Gracia Patricia, die 1982 an den Folgen eines Verkehrsunfalls gestorben ist. Man werde deshalb keinen Fuß auf den Roten Teppich an der Croisette setzen!
Ob Albert, Stefanie oder Caroline: die Grimaldis von heute werden von den Klatschblättern mit vielen schönen bunten Bildern verwöhnt! Zirkusfestival und Formel 1 polieren zusätzlich das Image der Fürstenfamilie von Monaco auf.
Da hat man es nicht gern, wenn weniger Glamouröses aus dem Familienleben ans Licht geholt wird – schon gar nicht in der französischen Nachbarschaft in Cannes. So geschehen bei „Grace of Monaco“: nach dem Motto, amerikanische Powerfrau bringt elegischen europäischen Blaublüter auf Trapp!
Zwar hat sich die fürstliche Familie von Monaco an die Tatsache gewöhnt, dass Grace Kelly im intriganten Sumpf der Grimaldis depressiv geworden ist und wohl betrunken in den Tod gefahren ist. Aber dass ihr das Fürstentum die Souveränität verdankt, geht dann doch wohl zu weit. Das behauptet historisch kühn der Film „Grace of Monaco“, der sich – wie im Vorspann einschränkend betont wird – nur an historischen Fakten „orientiert“ hat:
1962 Krise in Monaco! immer mehr französische Unternehmen haben ihren Firmensitz in das Steuer-Paradies verlegt, um dem Pariser Fiskus zu entgehen. Charles de Gaulle hat nicht zuletzt durch den Krieg in Algerien finanzielle Probleme. Er droht Monaco mit Annektierung, wenn Monte Carlo nicht die französische Steuergesetzgebung einführt.
Zusätzlichen Ärger hat Fürst Rainier mit seiner Gattin Grace: Alfred Hitchcock ist persönlich an die Cote d’Azur gereist, um Grace Kelly die Hauptrolle in seinem neuen anzubieten, der „Marnie“ heißen soll.
Weil sie ihre Kinder nicht Rainier und den Hofschranzen überlassen will, was zu den Konsequenzen einer Scheidung gehört hätte, lenkt Grace Kelly ein und sagt Hitchcock schließlich ab. Tipp Hedren spielt statt ihrer dann die Rolle der erotischen Kleptomanin in „Marnie“.
„Nie wieder Hollywood“: Bei dieser Entscheidung wird Grace Kelly bis zu ihrem Tod bleiben: stattdessen übernimmt sie die Rolle der Landesmutter. Sie übt sich in Hof-Etikette, kauft (im Film) auf dem Markt von Monte Carlo heimisches Obst und Gemüse, das sie den französischen Grenzposten vorbei bringt. De Gaulles hat nämlich die Grenze zu Frankreich blockiert.
Fürst Rainier ist mutlos und im Begriff vor dem General in die Knie zu gehen. Da startet seine Frau eine Charme-Offensive, der de Gaulle – ganz französischer Mann – natürlich nicht widerstehen kann. Und so bleibt Monaco der Status quo erhalten.
Dass diese Randnotiz der Weltgeschichte im Detail ein klein bisschen anders abgelaufen ist, macht sie nicht weniger interessant. Erstaunlich ist allerdings, wie man daraus einen derart langweiligen Film machen kann. Regisseur Olivier Dahan verdanken wir bereits den Edith Piaf-Film „La vie en rose“.
Hatte der wenigstens noch etwas Authentisches und ein bisschen Atmosphäre, gibt es davon kaum etwas in „Grace of Monaco“: das Ganze bleibt so steif und uninspiriert wie Nicole Kidman in der Rolle der Grace Kelly.
Man spürt in jeder Einstellung das krampfhafte Bemühen des Regisseurs, es ja allen recht zu machen. Wie immer wenn die Haltung fehlt, setzte auch er sich mit seinem Film prompt zwischen alle Stühle. Schade, aus dem interessanten Thema hätte sich ein in jeder Beziehung interessanterer Film machen lassen. Insofern kann man Herrn Weinstein nur ermutigen, zur Schere zu greifen und damit die 140 Minuten etwas zu Recht zu stutzen….