Frankreich/Deutschland 2010
Regie: Bertrand Tavernier
Mit Mélanie Thierry, Lambert Wilson
„Als Regisseur ist es meine natürliche Aufgabe zu erfinden und zu träumen…Wir müssen träumen und aus diesem Prozess etwas hervorbringen, was die Welt verändert“, sagte Bertrand Tavernier vor einiger Zeit in einem Interview. Wie kaum ein anderer Filmemacher der Gegenwart hat Tavernier von Anfang seiner Karriere an, die Filmtheorie mit der Praxis und der gesellschaftlichen Wirklichkeit auf einen Punkt gebracht. Dabei ist er in jedem Genre zu Hause. Ebenso wie Volker Schlöndorff – mit dem er zusammen das Lycée Henri IV in Paris besuchte – lernte Tavernier die Kunst der Cinemathographie bei Jean-Pierre Melville. Seine Faszination des amerikanischen Kinos fand in einem umfangreichen Buch („50ans de Cinema Americain“) über die Geschichte Hollywood seinen Ausdruck.
Unter dem Einfluss von John Ford bis Samuel Fuller drehte Bertrand Tavernier in regelmäßigen Abständen in den USA. Zuletzt 2008 „In the electric mist“: Im Hinterland von New Orleans muss sich der Polizist Dave Robicheaux (Tommy Lee Jones) mit seltsamen Morden beschäftigen, die ihn einerseits mit der Gegenwart des organisierten Verbrechens, andererseits mit dem Rassismus der Vergangenheit konfrontieren. Obwohl der Einfluss Elia Kazans nicht zu übersehen ist, gewann die nicht sonderlich originelle Story durch Bertrand Tavernier eine eigene Qualität: mit der französischen Nouvelle vague im Hintergrund erfand er das ehrwürdige Genre des amerikanischen Cop-Krimis neu.
Nachdem Tavernier bei den Berliner Filmfestspielen 2009 mit „In the electric mist“ bestenfalls Irritation auslöste, kam der Film gar nicht erst in die deutschen Kinos, sondern wurde in diesem Monat von Koch-Media als DVD-Premiere veröffentlicht.
Gestern wurde nun Bertrand Taverniers neuer Film „La Princesse de Montpensier“ in Cannes uraufgeführt. Ein Kontrast zu „In the electric mist“ wie er größer nicht sein könnte. Es handelt sich dabei um eine Verfilmung der gleichnamigen Novelle von Marie-Madeleine de La Fayette aus dem Jahr 1662 – ihrem literarischen Debut. Eine Vorstudie zum Roman „La Princesse de Clèves“, der sie zu einer der einflussreichsten Frauen im Frankreich des 17. Jahrhunderts machte und Gustave Flaubert zu „Madame Bovary“ inspirierte.
Von brutalen Wirklichkeit am Rande der desolaten amerikanischen Metropole New Orleans mit den undurchdringlichen Sümpfen Louisianas zu einem nicht weniger desolaten Staatswesen Frankreichs unter Henri III. „La Princesse de Montpensier“ wurde von Madame de La Fayette knapp 100 Jahre vor ihrer Zeit angesiedet. Auch das war für Tavernier kein Problem.
Mit der selben unaufdringlichen Eleganz bediente er sich der Möglichkeiten des Kostümfilms, ohne das „Kostüm“ zum wichtigsten Träger der Handlung zu machen. Um das Aktuelle in der Vorlage zu finden, brauchte er nicht lange zu suchen: In einer Zeit der Krise versucht eine Frau sich selbst und Verhältnisse zu retten. Bei aller Schwere des Sujets gelang Tavernier ein erstaunlich „leichter“ Film, der in wenigen Momenten mehr über die religiösen und politischen Grabenkämpfe gegen Ende des 16. Jahrhunderts und ihren Bezügen zur Gegenwart aussagt, als Jo Baier in seinem missglückten „Henri 4“. Vielleicht sollte man die filmische Bearbeitung der französischen Geschichte, doch besser den Franzosen überlassen…
Der Cannes-Trailer zu „La Princesse de Montpensier“:
Dazu im Vergleich der Trailer zu „The electric mist“: