Indisches Filmfestival Stuttgart – 20. bis 24. Juli 2011
Viel Gesang und Tanz vor exotischer Kulisse, dabei spielt die meist melodramatische Handlung eine eher untergeordnete Rolle. Wenn es tragisch wird, fängt es an zu regnen. Der durchnässte Sari der Haupt-darstellerin lässt ihre Formen erkennen. Ihr Partner agiert vorzugs-weise mit nacktem Oberkörper: der erotische Höhepunkt des klassischen Bollywood-Films. Doch der indische Film hat mehr zu bieten, als die bunte Massenware aus Mumbai. Das seit acht Jahren in Stuttgart stattfindende Festival „Bollywood and beyond“ hat sich zu einem der wichtigsten Foren des unabhängigen indischen Films in Europa entwickelt. Die diesjährige Ausgabe wird heute in Anwesenheit zahlreicher Gäste aus Indien eröffnet.
Rohan ist ein sensibler junger Mann. Wegen eines unerlaubten Kino-besuchs wegen, das Internat verlassen. Das wäre zu verkraften, wenn er nicht nach Hause zum despotischen, allein erziehenden Vater müsste. Ganz gegen seine Neigungen zwingt er seinen Sohn zu einem Maschinenbaustudium. Der Junge soll schließlich später einmal die Firma übernehmen. Konflikte sind vorprogrammiert.
Als er seinen Filius wieder einmal nicht an der Drehbank, sondern mit einem Buch in einer Ecke erwischt, kommt es zum handgreiflichen Eklat. Für europäische Verhältnisse sind Generations-bzw. Autoritäts-konflikte auf der Leinwand nichts Besonderes, in Indien waren sie bisher tabu. Schwache Film-Väter gab es in Indien nicht.
„Udaan“ von Vikramaditya Motwane – mit dem das Festival „Bollywood and Beyond“ heute in Stuttgart eröffnet wird – ist innerhalb des zeitgenössischen indischen Kinos eine Novität, die bereits bei den Filmfestspielen von Cannes für Aufsehen sorgte.
Noch weiter an die Tabugrenzen als Motwane mit seiner Vater-Demontage „Udaan“ ging der indische Videokünstler und Musikproduzent Kaushik Mukherjee. Unter dem Künstlerpseudonym „Q“ schockierte er die Nation mit seinem ruppigen Schwarzweißfilm „Gandu“ – zu Deutsch „Arschloch“.
Hier gibt es alles zu sehen, was bisher im indischen Film verboten war: von Sex bis zu fixenden Jugendlichen. In dennoch betont durchkomponierten Bildern begleitet „Q“ einen Jugendlichen, der durch das Elendsviertel einer Großstadt stromert – im täglichen Überlebenskampf.
Auch die Versatzstücke des klassischen Bollywoodkinos mit seinen üppig ausgestatteten Melodramen werden von jungen experimentierfreudigen Regisseuren für komplexe Geschichten benutzt. Ravi Jadhav rekonstruierte zum Beispiel in „Sound of Heaven“ den Niedergang eines Bühnenstars, der Anfang des 20. Jahrhunderts weibliche Konkurrenz bekommt. Bis dahin hatten Männer auf dem Theater auch Frauenrollen gespielt. Eine elegant inszenierte Parabel auf die Umbrüche der Neuzeit in der indischen Gesellschaft. Bis Samstagabend bietet „Bollywood and beyond“ wieder einen exquisiten Querschnitt durch das aktuelle indische Filmschaffen.
Als Ergänzung zu den Filmen wird ein oppulentes Rahmenprogramm angeboten – vom Tanzkurs bis zum Wirtschaftsforum. Da lohnt sich die Reise nach Stuttgart. Das Festivalgelände befindet sich verkehrsgünstig im „SI-Zentrum“ nahe der Autobahn-Ausfahrt Stuttgart-Degerloch. Vom Stadtzentrum bzw. Bahnhof steht ein Bus-Shuttle zur Verfügung. Zum neuen indischen Film gibt es hier ein Gespräch mit Elisa Melzer und Oliver Mahn vom Filmbüro Baden-Württemberg: [media id=215 width=320 height=20]
Weitere Infos unter www.bollywood-festival.de