Indisches Filmfestival Stuttgart 21. bis 25. Juli 2010
Gestern Abend wurde in Stuttgart das Filmfestival „Bollywood and beyond“ eröffnet – eine der umfangreichsten Präsentationen indischer Filme in Europa. Das interessante daran ist, dass Bemühen des Veranstalters (Filmbüro Baden-Württemberg) die Veranstaltung in einen gesellschaftspolitischen, auch wirtschaftlichen Kontext zu stellen. Ein Blick in die indische Filmgeschichte lehrt uns, welchen besonderen Sinn das macht:
Der erste indische Film wurde 1912 gedreht und basierte auf dem Volksepos „Mahabharata“. Also eine enge Verbundenheit mit der traditionellen Kultur von Anfang an und zwar in jeder Beziehung. Das Medium wurde in dem Vielvölkerstaat zum Wegbereiter einer panindischen Kultur. Der indische Psychoanalytiker Sudir Kadar erklärt den in der Welt einzigartigen Erfolg des Films in seinem Heimatland so:
„Der Film erfasst ein so breit gefächertes Publikum, dass er die sozialen und geographischen Kategorien auf eine andere Ebene bringt. Da er täglich viele Millionen Menschen erreicht, hat er in seiner Formensprache längst die Grenzen der städtischen Kultur hinter sich gelassen und die ländliche Volkskultur durchdrungen.“
Das hatte zur Folge, dass die großen indischen Filmstudios ausschließ-lich für den einheimischen Markt produzierten. Durch ihre Verankerung in der indischen Volksseele waren die Filme für ein westliches Publikum mehr oder weniger unverständlich.
Durch das gestiegene kulturelle, aber auch wirtschaftlich begründete Interesse Europas an Indien hat sich hier in den letzten Jahren ein Wandel vollzogen. Dabei spielte die englisch-amerikanische Produktion „Slumdog Millionär“ eine Schlüsselrolle. Vom englischen Regisseur Danny Boyle vor Ort in Mumbay mit einheimischen Darstellern gedreht, schildert der Film indische Wirklichkeit. Das hat es zwar auch schon vorher gegeben – aber nicht mit einem derartigen Erfolg. „Slumdog Millionär“ machte nicht nur international Kasse, sondern wurde 2009 mit den Oscars in allen acht Hauptkategorien ausgezeichnet.
Die indische Filmindustrie reagierte auf die ausländische Heraus-forderung erstaunlich schnell und mit bemerkenswerter Konsequenz. Ergebnisse dieses Umschwungs präsentiert das diesjährige „Indische Filmfestival Stuttgart – Bollywood and beyond“. Eine eigene Sektion ist dem neuen indischen Dokumentarfilm gewidmet – hierzulande bisher nahezu unbekannt. Dazu ergänzende „Beyonds“- vom Tanzkurs bis zum Manager-Seminar im Rahmen eines „Indo-German Business-forums“. Da kann sich der Teilnehmer über „Erfahrungen deutscher Unternehmen beim Aufbau eines Unternehmens in Indien“ austauschen.
In einem Vortrag des Südasien-Instituts der Universität Heidelberg geht es um das grundsätzliche Thema „Screening the Nation. Die Nation und ihre Repräsentanten im Film aus historischer Perspektive“. Anlass ist die deutsche Premiere des Films „Road to Sangam“ von Amit Rai, der bei seiner Premiere in Neu Delhi im Januar kontrovers diskutiert wurde und als markantes Beispiel für einen neuen Tonfall im indischen Film gilt.
So lädt das Stuttgarter Filmfestival „Bollywood and beyond“ bei (meistens) hochsommerlichen Temperaturen wieder zu vielfältigen Entdeckungen ein – im Kino wie bei den traditionellen „Tea talks“!