Sascha gehts schlecht. In russischer Einöde will ihn eine korrupte Bezirksregierung erledigen, denn der Sascha ist eine ehrliche Haut und lässt sich nicht korrumpieren. Das hat für ihn unschöne Folgen: der Film heißt „Ein langes und glückliches Leben“. Das meint Regisseur Boris Khlebnikov natürlich bitter ironisch. Zwar macht Sascha mit dem amtlichen Gesindel am Schluss kurzen Prozess, entlässt den Zuschauer aus seiner Parabel über russische Zustände aber ziemlich ratlos – nach dem sich der Vorhang nach handlichen 76 Minuten schließt, die sich allerdings wie sechs Stunden angefühlt haben.
Weiter gings mit dem ersten deutschen Beitrag im diesjährigen Wettbewerb um die Goldenen und Silbernen Bären: „Gold“ heißt der neue Film von Thomas Arslan und ist ein Western mit Eisenbahn und Nina Hoss hoch zu Ross. Im Wilden Westen war das Leben keine reine Freude und Gold bzw. Geld verdirbt den Charakter. Das haben wir schon mal irgendwo gesehen und gehört… Auch ein Film für die Abteilung Skurilitäten.
…und dabei blieb es dann am Nachmittag: „The necessary death of Charlie Countryman“ des bisherigen Werbefilmers Fredrik Bond ist daheim in Amerika derart zerpflückt worden, dass ihn Dieter Kosslick wohl aus purer Menschlichkeit nach Berlin eingeladen hat. Shia LaBeouf spielt einen verhärmten jungen Mann, der Mutters Tod nicht verwinden kann. Deshalb folgt er willig ihrer Aufforderung aus dem Jenseits, eine Art Pilgereise nach Bukarest anzutreten.
Da fällt er unter die Räuber, von denen einer von Till Schweiger verkörpert wird. Das ist Strafe genug! Eine Schöne kreuzt den Weg, aber der ist auch nicht zu trauen. Getrieben von dunklen Ahnungen und klammen Gefühlen meandert der Film mit vielen bunten Bildern über die Runden.
Am Ende weiß der Berlinale-Gänger nicht so recht, was er davon halten soll und was wen dazu getrieben hat, dieses schrille Unikum auf die Plattform eines großen Filmfestivals zu hieven. Es kann – wie gesagt – nur ein Gnadenakt gewesen sein. Auf dem Roten Teppich vor dem Berlinale-Palast wirkt Herr LaBeouf eher unscheinbar…
Deshalb machen wir uns auf zum „Hausbesuch“ vis-á-vis in die „Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen“. Nicht zur Scorsese-Ausstellung, sondern zu Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen, den publizistischen Stars des Hauses.
Das Sony-Center am Potsdamer Platz: in den Katakomben die Schätze der deutschen Filmgeschichte: von Marlene Dietrichs Federboa bis zu Fritz Langs Pass. Im sechsten Stock mit Blick auf die Alte Potsdamer Straße die Büros von Wolfgang Jacobsen und Rolf Aurich. Die beiden Filmwissenschaftler sind seit Jahren das publizistische Aushängeschild der „Deutschen Kinemethek-Museum für Film und Fernsehen“.
Edel bibliophil ist ihre dreibändige „Edition Gerhard Lamprecht“ ausgefallen, die Ende Januar im Verlag text & kritik erschienen ist. Eine Pionierleistung und ein Stück Wiedergutmachung an einem vergessenen Filmemacher und passionierten Sammler. Ohne ihn wäre Vieles aus der deutschen Filmgeschichte unwiederbringlich verloren gegangen. Jacobsen und Aurich mussten dafür tief in die Archive steigen. Grundlagenforschung!
Das ist ein mühseliges Unterfangen, die Zeit braucht. Erst wenn diese Hausaufgaben erledigt sind, kann die eigentliche publizistische Arbeit beginnen. Nicht von ungefähr scheuen deshalb viele Filmpublizisten solche Grundlagenforschung und wenden sich lieber Persönlichkeiten zu, die bereits erforscht sind. Das erklärt das 100. Buch über Marlene Dietrich oder Fritz Lang. Jacobsen und Aurich gehören zu den Wenigen, die sich noch von Neuem, bisher sogar als marginal angesehenem – wie Gerhard Lamprecht – überraschen und andere daran teilhaben lassen.
Zu den Besonderheiten der filmpublizistischen Arbeit von Jacobsen und Aurich gehört, dass sie nicht nur wissenschaftlich auf höchstem Niveau arbeiten, sondern auch exzellente Autoren sind, die komplizierte Zusammenhänge spannend formulieren können und dabei immer die Zeitgeschichte im Blick haben.
Filmwissenschaft als Abenteuer! Die Faszination eines Mediums, das sich seit über 100 Jahren immer wieder neu erfindet. Nirgends wird das augenfälliger als in der „Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen Berlin“ und in den Büchern von Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen. Die schönen drei Bände über Gerhard Lamprecht kosten übrigens jeweils 29.80 €. Außerdem jüngst im Aufbau Verlag erschienen: „In der Ferne das Glück – Geschichten für Hollywood“. Wolfgang Jacobsen hat hier bisher unveröffentlichte Texte von Vicky Baum bis Fritz Kortner über ihr Leben in der amerikanischen Emigration gesammelt und heraus gegeben. Aus dem Nachlass des deutsch-amerikanischen Filmagenten Paul Kohner, dessen Nachlass ebenfalls zum Bestand der „Deutschen Kinemathek“ gehört. …