Anlaß zur Freude: der Stuttgarter Kameramann Lutz Reitemeier bekommt einen „Silbernen Bären“ für eine „Herausragende Leistung“. Er ist ein Meister seines Fachs. Seit Jahren arbeitet Reitemeier in China u. a. mit Regisseur Wang Quan’an zusammen. Er fotografierte auch dessen Berlinale-Gewinner-Film „Tuyas Hochzeit“ von 2007. Diesmal war Wang Quan’an mit dem epischen Geschichtstableau „Bai lu yuan“ in Berlin vertreten. Reitemeiers tolle Bilder sind das eine, die das Verständnis voraussetzende intime Kenntnisse der Chinesischen Geschichte die andere Seite des Films. Wer die nicht hat, tut sich schwer. Lutz Reitemeier konnte den Preis nicht selbst in Empfang nehmen – er dreht zur Zeit in Saudi Arabien!
Glückwunsch auch an Christian Petzold, der für „Barbara“ verdient den Silbernen Bären für die Beste Regie bekommen hat. Klar, das mit seiner Auszeichnung die beiden anderen Deutschen, Hans-Christian und Schmid und Matthias Glasner außen vor bleiben mussten. Sie werden es verschmerzen
Der „Großen Preis der Jury“ für Bence Fliegaufs beklemmendes Schlaglicht auf die Diskriminierung und Ermordung von Roma in Ungarn „Nur der Wind“ ist absolut gerechtfertigt.
Zumal offizielle ungarische Regierungstellen die Vorführung des Films in Berlin mit einer ärgerlichen Weißwäscher-Kampagne begleiteten und nichts unversucht ließen, die Anklage des Films zu relativieren. Die dabei geübte Dreistigkeit wirft kein gutes Licht auf die neuen Herrschaften in Budapest! Besonders peinlich: sie wurden darin von rechtslastigen Hanns-Seidel-Stiftung unterstützt. Sie lud zu einer Podiumsdiskussion mit dem bezeichnenden Titel „Roma in Europa und Ungarn – ist das ein Problem?“ Die Veranstaltung erwies sich als Farce…
Doch zurück zu den Berlinale-Preisen: Die Darstellerpreise gehen auch in Ordnung. Völlig unverständlich ist dagegen, dass mit „Cesare deve morire“ einer der schwächsten Filme des Festivals mit dem „Goldenen Bären“ ausgezeichnet wurde. Die Gebrüder Taviani haben vergleichsweise konventionell die Einstudierung und Aufführung von Shakespeares „Julius Cäsar“ mit Langzeithäftlingen in einem römischen Gefängnis mit der Kamera begleitet.
Die Dramaturgie beschränkt sich darauf, das einmal in Bunt und ein andermal Schwarzweiß gefilmt wurde. Ein ambitionierter Report über eine Resozialisierungsmaßnahme, den man sich gut im arte-Spätprogramm oder im ZDF-Theaterkanal vorstellen kann.
Ein verschämter „Silberner Bär“ für eine „Lobende Erwähnung“für Ursula Meier und ihren großartigen „L’enfant d’en haut“ ist dagegen arg wenig. Der „Alfred Bauer-Preis“ für den leicht kunstgewerblichen „Tabu“ aus Portugal irritierte sogar den Regisseur selbst.
Nichts für „A moi seul“ und den innovativen „Postcards from the zoo“ des indonesischen Nachwuchstalents Edwin. Da müssen die Juroren allesamt wirklich geschlafen haben! Schade von Mike Leigh als Jury-Präsidenten wäre mehr Fingerspitzengefühl zu erwarten gewesen.
Merke: Jury-Entscheidungen geben nur bedingt die Höhen und Tiefen eines Festivals wieder. Die „62. Berliner Filmfestspiele“ sind dafür ein beredtes Beispiel.