Schweiz/Deutschland 2011
Regie: Miklós Gimes
Kinostart: 5. Mai 2011
Tom Kummer (Jahrgang 1963) versuchte sich um 1980 in Bern als Aktionskünstler. Dann zog es ihn nach Berlin und zum Journalismus – er arbeitete für feine Adressen den SPIEGEL und der ZEIT. Vor allem bei der kurzlebigen Zeitgeist-Magazin „Tempo“, das durch unkonventionellen Stil in Inhalt und Aufmachungen frischen Wind in die deutsche Magazin-Landschaft bringen wollte. Kummer hielt es nicht lange aus und ging nach Los Angeles. Unter kalifornischer Sonne stieg binnen Kurzem zum Star-Reporter des Star-Biz Hollywoods auf. Seine Interviews mit angesagten Berühmtheiten wie Pamela Anderson, Sean Penn oder Sharon Stone schmückten das SZ-Magazin ebenso wie das feine „Tages-Anzeiger Magazin“.
Unterhaltsam auf hohem Niveau vermittelten Kummers Promi-Gespräche intime Einblicke in das Seelenleben der Befragten und das gnadenlose Geschäft mit dem Glamour. Einziger, aber dafür ziemlich gravierender Schönheitsfehler: die Interviews waren samt und sonders frei erfunden. Ein neidischer Kollege deckte den Schwindel auf.
Kummer war über Nacht die Unperson in der deutschen Medienlandschaft: seine Fakes kostete den beiden SZ-Magazin-Chefs den Job.
In der Schweiz sah man den Skandal gelassener. Miklós Girmes hatte damals in den 1990er Jahren als stellvertretender Chefredakteur des „Tages-Anzeiger Magazins“ mit Tom Kummer als Mitarbeiter zu tun und orderte seine Beiträge, ohne im Entferntesten daran zu denken, das daran etwas faul seine könnte.
Inzwischen ist Grimes vom Journalismus zum Film gewechselt und drehte mit „Bad Boy Kummer“ einen außergewöhnlichen Dokumentarfilm. Eine Spurensuche nach den Hintergründen des „Falles“ Kummer. Der Regisseur hat den Abgetauchten in Los Angeles gefunden, wo er als Tennislehrer seine Brötchen verdient.
Wortgewandt versteht es Kummer vor der Kamera, sich selber als Opfer der Verhältnisse darzustellen. Als Literat, der mit den Versatzstücken journalistischer Arbeit eine muntere Charade treibt. Die Frage nach der Wahrheit spiele für ihn dabei eine untergeordnete Rolle. Das ist zunächst befremdlich, leuchtet aber je länger der Film dauert durchaus ein. Wer kann schon sagen, was in der Filmbranche – vor allem der in Hollywood – Wahrheit und was Lüge, Intrige und was Kalkül ist? Das Geschäft heiligt die Mittel!
Oder noch viel Simpler: Wer nur den blassesten Schimmer vom journalistischen Umgang mit sogenannten „Topstars“ hat, wäre bereits beim ersten Kummer-Interview (mit Pamela Anderson) stutzig geworden.
In der Regel sind Interviews mit Filmprominenz Teil einer sorgfältig geplanten PR-Kampagne – in Verbindung mit einem neuen Film oder im Rahmen eines Festivals. Das Ganze findet dann als sogenannte „Gruppen-Interviews“ statt – Gruppenstärken zwischen fünf und 15 machen das Ganze zu einer Mini-Pressekonferenz. Dabei dürfen die trotzdem handverlesenen Journalisten in einer Hotel-Suite in einem limitierten Zeitkontingent – 20 bis 30 Minuten – mit den Promis plauschen. Unter der strengen Aufsicht einer PR-Agentin.
Vor der Veröffentlichung müssen die so zustande gekommenen „Interviews“ der Agentur des Künstlers zur Prüfung vorgelegt werden. Nicht selten wird zum Rotstift gegriffen, korrigiert und daraus im Handumdrehen ein PR-Text gemacht. Das sollte man bei der Lektüre derartiger „Interviews“ immer bedenken. Selbst wenn sie in honorigen Zeitungen und Magazinen stehen.
Tom Kummer war das „zu blöd“ und deshalb hat er auf die Teilnahme an solchen Veranstaltungen verzichtet. Weiterhin muss man wissen, dass Interviews mit Schauspiel-und Regie-Stars von Brad Pitt bis Pedro Almodovar „Eins-zu-Eins“ rare Ausnahmen sind, Monate in voraus angemeldet werden müssen und ebenfalls nur nach dem Nutzeffekt für den Betreffenden erteilt werden. Ein verhältnismäßig unbekannter Schweizer Journalist wie Tom Kummer wäre nicht einmal über die Telefonzentrale der jeweiligen Agentur hinaus gekommen.
Also hat er aus der Not eine Tugend gemacht und sich alles am heimischen Schreibtisch ausgedacht. Dabei kam ihm der Umstand zu Hilfe, dass auch seine Auftraggeber in den Chefetagen ihren Schreibtisch nie verließen und keine Ahnung von der Wirklichkeit des journalistischen Alltags hatten. Das Einzige was sie interessierte war das die Auflage steigernde Spektakulum. Da fragte keiner nach der Wahrscheinlichkeit und Machbarkeit einer Plauderei mit Sean Penn über Existenzphilosophie. Vermutlich weiß der in Wirklichkeit nicht was das ist.
Der große Verdienst des Films „Bad Boy Kummer“ liegt in seinem Blick hinter die Kulissen des Sensationsjournalismus. Er ist aber auch das elegant gearbeitete Portrait einer Ausnahmepersönlichkeit. Mit Eigensinn verweigert sich Kummer bis heute der Selbsterkenntnis, dass er trotz allem eklatant gegen Spielregeln verstoßen hat. Ignoranz und Arroganz seiner Chefs hin oder her.
Damit stand und steht er sich bis heute selbst im Wege. Mit seiner Begabung hätte er groß Karriere machen können und zwar ohne zu flunkern. „Bad Boy Kummer“-Regisseur Miklós Gimes sagte zur Psychopathologie Kummers der „Neuen Züricher Zeitung“:
„Mich hat in erster Linie nicht die Frage nach der Ethik des Journalismus interessiert. Die ist ja schnell beantwortet: Da gibt es gewisse Spielregeln, und die muss man beachten, hundertprozentig, was Kummer nicht gemacht hat. Meine Frage aber war: Warum hat er es gemacht? Was war seine Motivation? Ich denke, sein Fake-Journalismus verdeckt eine innere Schwäche, ein seelisches Geheimnis. Er gehört zu einem Menschenschlag mit mangelhaftem Bezug zur Realität. Von dieser Sorte gibt es einige Menschen, die über weite Strecken sehr gut funktionieren können, ohne dass man sie einsperren oder therapieren muss…“
Also: „Bad Boy Kummer“ absolut sehenswert – nicht nur für Journalisten und ihre Chefs…. Wer mehr über das Selbstverständnis von Tom Kummer und dem von ihm praktizierten „Borderline“-Journalismus wissen möchte, sollte zu seiner Autobiographie „Blow up“ (Verlag Blumenbar, 2007) greifen oder seine enorm witzige Reportage „Knut ganz groß“ (Heyne Taschenbuch) lesen, die natürlich ein „Exklusiv-Interview“ mit dem in diesem Frühjahr überraschend verstorbenen Star des Berliner Zoos enthält….