Der französische Film der 1960er und 1970er Jahre stand im Zeichen der Erneuerer wie Jean-Luc Godard oder François Truffaut und der von ihnen maßgeblich bestimmten „Nouvelle Vague“. Gewissermaßen in ihrem „Windschatten“ drehten auch Regisseure Filme, die nicht zu dieser Bewegung gehörten. Sie sind über Frankreich hinaus kaum bekannt geworden. Jetzt sind auf DVD bzw. Blu-ray drei Filme zu entdecken, die fast vergessen sind, ebenso wie ihre Regisseure…
Charles Aznavour war in den 1960er Jahren einer der international bekanntesten französischen Chansoniers. Ab und zu hat er auch in Filmen mitgespielt. Seine bekannteste Rolle verkörperte Aznavour 1960 in „Schießen Sie auf den Pianisten“ von Francois Truffaut. Weniger bekannt ist „Horace 62/Der Rächer von Paris“, den zwei Jahre später der Regisseur und Schauspieler André Versini inszenierte. Zusammen mit Jean-Louis Trintignant verkörpert Charles Aznavour in diesem, in schwarz-weiß gedrehtem Melodram die Hauptrolle. „Magic Picture“ hat die Rarität jetzt auf DVD veröffentlicht.
In eine geschlossene korsische Trauergemeinde in Paris fällt ein Schuss. Ein wichtiges Mitglied der Familie Fabiani ist tot. Zunächst sind die Motive unklar, doch dann stellt sich heraus, wer hinter dem Attentat steckt: der verfeindete Clan der Colonna.
Aznavour spielt Horace Fabiani und ist ebenso wie seine Brüder mit den gleichaltrigen Colonna-Brüdern befreundet. Sie sind längst assimilierte Franzosen. Plötzlich kommt das überholt geglaubte Gesetz der Blutrache wieder zum Vorschein. Horace, der älteste Sohn der Fabiani wird in die Pflicht genommen.
Außergewöhnlich elegant, mit einem Gespür für Spannung und für dramatische Momente ist André Versini mit „Der Rächer von Paris“ ein früher Blutrache-Thriller gelungen, in dem Aznavour einen wortkargen einsamen Wolf verkörpert. Die Musik dazu schrieb übrigens Aznavours Hauskomponist Paul Mauriat.
Spielt in den französischen Kriminalfilmen der ersten Nachkriegsjahrzehnte ein vager Ehrenkodex der Protagonisten eine wichtige Rolle, geht das nach 1970 in blanke Anarchie über. Ein Schlüsselfilm in dieser Beziehung ist „Les Valseuses/Die Ausgebufften“, den Bertrand Blier 1974 gedreht hat. Der Film machte nicht nur den damaligen Nachwuchsschauspieler Gérard Depardieu bekannt, sondern löste wegen seiner unbekümmerten Kombination aus Krimi und Erotik einen Skandal aus. Erst in diesem Jahr wurde in Deutschland die Indizierung des Films aufgehoben. In der Reihe „Edition Cinema Francais“ von Filmkonfekt ist „Die Ausgebufften“ dieser Tage zum ersten Mal ungekürzt auf DVD und Blu-ray veröffentlicht worden. Aus heutiger Erfahrung bietet der Film keinen Anlass zur Aufregung.
Jean-Claude und Pierrot sind zwei kleine Ganoven. Auf der Flucht von einem Autoklau ist Pierrot an einer besonders sensiblen Stelle des männlichen Körpers verletzt worden. Mit sanfter Gewalt zwingt Jean-Claude einen Doktor, den Kumpel zu verarzten. Die beiden kommen nicht nur zu Geld, sondern zu einer weiblichen Begleitung, der Friseuse Marie-Ange. Die lässt sich nicht so schnell bange machen.
Die beiden Rüpel kommen bei ihr nur bedingt gut an. Deshalb versuchen sie ihren herben Charme bei einer Frau auszuprobieren, die längere Zeit auf Männer verzichten musste. Bei Jeanne könnte es klappen, die ist eben aus dem Gefängnis entlassen worden.
Alles ist nicht so einfach, das müssen schließlich auch Jean-Claude und Pierrot einsehen: „Die Ausgebufften“ ist ein typisches Produkt der 1970er Jahre. Einem Zeitgeist geschuldet, bei dem niemand so recht wusste, wie es weiter gehen sollte – nach den Aufbrüchen von 1968. Als Film originell anzusehen. Aus der Distanz betrachtet darüber hinaus ein aufschlussreicher Blick zurück.
…Und gleich noch einer früher Gérard Depardieu-Film: „Der LouLou“ von Maurice Pialat aus dem Jahr 1980. Seine Partnerin ist Isabelle Huppert, ebenfalls am Anfang ihrer Karriere. Wieder geht es um Menschen, die entwurzelt durch eine Gesellschaft irrlichtern, in der sich eine Krise ankündigt.
Mit „Der LouLou“ gelang Maurice Pialat ein Klassiker des modernen französischen Films, der großen Einfluss haben sollte. Es gibt ihn neuerdings gleich in mehreren Editionen auf DVD. Ein bittersüßes Melodram über ein junges Paar, das versucht einen Weg in die Ge-sellschaft zu finden und dabei immer wieder vor großen Hürden steht. Depardieu und Huppert zeigen als Loulou und Nelly großartige schauspielerische Leistungen. Hier ein kurzer Ausschnitt aus der französischen Fassung.
Die DVD „Der LouLou“ verfügt ebenso wie die Blu-ray/DVD von„Die Ausgebufften“ über das französische Original und die, bei beiden Filmen auf vulgär getrimmten, deutschen Fassungen. Deshalb lieber Französisch mit Untertiteln. Die fehlen leider bei „Der Rächer von Paris“. Gleichwohl drei interessante französische Produktionen, die auf DVD bzw. Blu-ray zwischen 8 und 16 Euro kosten.