Von jeher zeichnet sich das englische Kino durch einen unverwechsel-baren Stil aus, einer einzigartigen Verbindung zwischen Tragischem und Komischem. Nachdem auch die englische Filmindustrie in den 1970er Jahren in eine Krise geraten waren, half ihr eine für Europa vorbildliche staatliche Förderung in Verbindung mit dem Engagement der BBC wieder auf die Beine. Einen repräsentativen Über-bzw. Einblick in den englischen Film der letzten 30 Jahre gibt an Hand von 10 DVDs die „Arthaus Collection British Cinema“.
Einer der wenigen englischen Regisseure, der allem zum Trotz seinen eigenwilligen Stil durchsetzte, war Nicolas Roeg. Er präsentierte in dieser Zeit teils grelle, teils nachtschwarze Filme. Die Arthaus Collection „British Cinema“ enthält von Roeg „The man who fall to earth/Der Mann, der vom Himmel fiel“ von 1976. Der Film erregte damals vor allem durch die Besetzung der Hauptrolle mit dem vom Drogenkonsum gezeichneten Sänger David Bowie Aufsehen. Er spielt Thomas Jerome Newton, der als Gesandter eines fernen Planeten auf die Erde kommt: Als Wesen von höherer Intelligenz wird er jedoch in der brutalen, selbstsüchtigen menschlichen Zivilisation nicht glücklich. Newton geht schließlich jämmerlich zu Grunde. Roeg inszenierte einen virtuosen Science Fiction-Film, dessen Nachwirkungen bis zu Camerons „Avatar“ spürbar sind.
In den 1980er Jahren dominierte Peter Greenaway mit seinem innovativen filmischen Ausdruck nicht nur den britischen, sondern den gesamten europäischen Film. Er schuf damals Meisterwerke von hohem ästhetischen Reiz, in denen es vorwiegend um die Abgründe im men-schlichen Wesen geht. So in „Drowning by numbers/Verschwörung der Frauen“. Der Titel des 1988 gedrehten Films bezieht sich auf eine Anleitung für Amateur-Maler, bei der man, den Zahlen folgend am Ende ein komplettes Bild zustande bringt. In Greenaways Film bringen drei Frauen nach und nach ihre lästigen Männer um, während ein debiles Kind, alles, was ihm unter die Finger kommt nummeriert. Bei seinem sarkastischen Spiel mit einer Welt des puren Egoismus räumte der Regisseur der Musik einen großen Stellenwert ein und verhalf damit dem Komponisten Michael Nyman zu internationaler Berühmtheit.
Während Regisseure wie Roeg und Greenaway ihre Filme eher im Un-gefähren bzw. gesellschaftlichen Niemandsland ansiedelten, trat mit Stephen Frears eine neue Generation politisch engagierter britischer Regisseure ins Rampenlicht: sie verorteten ihre Filme in den Randbe-zirken der englischen Gesellschaft; wo ethnische Minderheiten leben und soziale Ungerechtigkeiten herrschen: Mit „My beautiful laundrette/Mein wunderschöner Waschsalon“ wurde Frears 1985 bekannt. Ebenso wie sein Drehbuchautor Hanif Kureishi und sein junger Hauptdarsteller Daniel Day-Lewis.
Mit klarem Blick auf die Verhältnisse geht es in diesem Film um Freund-schaft und die Überwindung ethnische Grenzen, den Versuch selbstbewusst durchs Leben zu gehen. Um soziale Randgruppen hatte sich Ken Loach bereits seit Jahren gekümmert, bevor ihm Anfang der 1990er Jahre endgültig der internationale Durchbruch gelang. Als DVD-Premiere enthält die Arthaus Collection „Ladybird, Ladybird“ von 1993.
Im Mittelpunkt dieses halbdokumentarischen Films steht Maggie, Mutter von vier Kindern unterschiedlicher Väter. Obwohl sie ansonsten am gesellschaftlichen Rand allein gelassen wird, hat ihr das Jugendamt das Sorgerecht für ihre Kinder aberkannt:Ämterwillkür und Hoffnungslosigkeit sind das Thema von „Ladybird, Ladybird“. Mit einer großartigen Laien-darstellerin in der Hauptrolle, von Ken Loach konsequent inszeniert.
Mit ähnlichen Stilmitteln wie Ken Loach arbeitet Mike Leigh. In der Arthaus Collection British Cinema ist „Nacked/Nackt“ enthalten. Auch bei ihm versuchen Menschen am unteren Ende der sozialen Leiter irgend-wie zu überleben. Humanität ist hier schierer Luxus. Im Bonusteil der DVD „Nackt“ gibt es Mike Leighs Kurzfilm „The Short & Curlis“ und „Hello, Hello, Hello“ den Hauptdarsteller David Thewlis gedreht hat.
Danny Boyle ist ebenfalls einer der britischen Regie-Stars der Gegenwart, dessen Karriere in den 1990er Jahren begann. Sein jüngster Film „Slumdog Millionär“ wurde im letzten Jahr mit dem Oscar für den besten Film ausgezeichnet wurde. Die Collection enthält Boyles Frühwerk „Shallow Grave/Kleine Morde unter Freunden“, in dem der Schauspieler Ewan McGregor zum ersten Mal auffiel. Eine Ärztin, ein Buchhalter und ein Journalist pflegen eine harmonische Freundschaft – solange bis ihnen zufälliger Weise ein Koffer mit viel Geld in die Hände fällt. Da gibt es kein Halten mehr, die drei fallen maro-dierend über einander her. „Shallow grave“ ist eine rabenschwarze Satire über die Abgründe hinter der Fassade zivilisierter Menschlichkeit. Um den Zusammenbruch einer vermeintlich „heilen“ Welt geht es auch in „War Zone“, dem Regie-Debut des Schauspielers Tim Roth aus dem Jahr 1999: Ein Ehepaar und zwei halbwüchsige Kinder in gutbürger-lichen Verhältnissen. Eines Tages beobachtet der Sohn, Schwester und Vater in einer unmissverständlichen Situation. Die Folge: Eine Familie zerbricht. Nüchtern schildert Tim Roth ihren Niedergang. „War Zone“ wurde nach seiner Uraufführung außerhalb von Festivals allerdings kaum wahrgenommen. Arthaus präsentiert den Film als DVD-Premiere mit einem umfangreichen Bonusteil. Außerdem in der „Arthaus Collection British Cinema“: „Brassed of“: Eine Bergmanns-Kapelle spielt in Yorgshire gegen die drohende Schließung einer Zeche an und bekommt unerwartete Unterstützung durch eine Flügelhorn-Spielerin. Ebenfalls britischen Humor liefert „Walking Ned Devine/Lang lebe Ned Devine“ von Kirk Jones. Eine makabre Satire über Leben und Tod. Weniger lustig geht es dagegen in „The General/Der General“ von John Boorman zu.
Mit seinem Film, der 1998 in Cannes mit dem Regie-Preis ausgezeichnet wurde, rührte Boorman an ein Tabu: Die Kontakte zwischen IRA und dem organisierten Verbrechen in Großbritannien. Ein weiterer Schlüssel-film des modernen britischen Kinos. Dazu bietet die versiert zusammen gestellte „Arthaus Collection British Cinema“ einen spannenden Überblick. Jeder Disc liegt ein sachkundig geschriebenes Booklet bei. Die Gesamt-Edition kostet ca.79, die DVDs einzeln je ca. 10 Euro.
Hier das Ganze im O-Ton – die Sendung aus der Reihe SWRcont.ra DVD:
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