USA 2009/10 – Regie: Tim Burton, mit Johnny Depp,Mia Wasikowska
Bei erst kurz vor Start anberaumten Pressevorführungen ist meistens Obacht geboten. In der Regel hat ein Verleih einen Grund, warum er das Werk solange wie möglich unter Verschluss hält – um negativer Vorpublicity vorzubeugen.
Bereits die ersten flauen, von 3D-Innovation ungetrübten Bilder der „Alice im Wunderland“ bestätigten diese Befürchtungen. Aus Regisseur Tim Burton sprach wohl die reine Selbsterkenntnis, als er in einem Interview mit „Cinema“ vorab verriet: „Ich bin gar kein so großer Fan von Spezialeffekten, Green Screens machen mich krank. Das kriegt so schnell etwas Totes“. Dafür, dass 90 Prozent seines Films im „Green Screen“-Verfahren gedreht wurden, eine bemerkenswerte Aussage. „Green Screen“ meint, die Schauspieler müssen auf einer leeren Bühne vor grünem Hintergrund agieren. Was sie dabei und wo sie es tun, wird später von den Spezialisten per Computer eingebracht. Für Schauspieler und Regisseur wird also ein Höchstmaß an Imagination verlangt. Burton betont verständlicher Weise, das sei nicht seine liebste Arbeitsmethode. Der fertige Film liefert die Bestätigung. Atmosphärisch toter kann kein Film sein, als diese „Alice“!. Angesichts der Vorlage eine bemerkenswerte Leistung! Bei Burton träumt sich die kleine Alice nicht in ein Wunderland, sondern eine veritable Mitzwanzigerin von aristokratischem Geblüt fällt in einem herrschaftlich Park durch ein Erdloch aus der viktorianischen Gesellschaft in eine Parallelwelt. Daraus taucht sie nach allerlei – entfernt an Lewis Carroll erinnernden – Abenteuern emanzipatorisch gestärkt wieder auf, um ihrem widerlichen Verlobten den Laufpass zu geben. Arme Alice! Ebenso wie vor einiger Zeit der „Planet der Affen“, war auch „Alice im Wunderland“ nicht Tim Burtons Sache. Sein Film ist ein Musterbeispiel dafür, wie ein hochtalentierter, aber indisponierter Regisseur mit filmtechnischem Firlefanz einer literarischen Vorlage den letzten poetischen Reiz austreiben kann. Allein die hölzern durch die digital aufgebrachten Kulissen stapfende Titeldarstellerin Mia Wasikowska ist eine Zumutung.
Was Burton an inszenatorischem Charme abgeht, versuchte das Technik-department der Produktion durch Farbe auszugleichen. Knallbunt wie der verunglückte Werbespot eines deutschen Privatsenders stellt sich Alice’s Wunderwelt dar. Dazwischen – ziemlich entstellt – Burtons Dauer-Mime Johnny Depp als „Hutmacher“. In dieser Rolle nicht mehr als ein digital animiertes Abziehbild seiner Selbst. Fremd in einer Welt, mit der Regisseur Tim Burton (bzw. seine Mitarbeiter) so gar nichts anzufangen wusste. Das betrifft im Übrigen auch die Möglichkeiten der modernen 3D-Technik: ein Schloss mit sieben Siegeln. Von wegen eine „neue Dimension“! Vielmehr zeigt sich hier, wie schnell sich diese Technik abnutzt. Ich habe zwischendurch die Brille abgesetzt: der Unterschied war minimal. Und das bei feinster digitaler 3D-Projektion im Stuttgarter „Metropol“.
Bei dieser „Alice im Wunderland“ reicht 2D vollkommen, wenn man sich diesen Film überhaupt antun will. Wie heißt es doch bei Lewis Carroll: „’Ülkiger und Ülkiger!’ rief Alice (und zu ihrer Überraschung entging ihr, dass man das eigentlich gar nicht sagen kann).“
Also das Geld anstatt für die Kinokarte lieber für das Buch ausgeben. Zum Beispiel für die schöne Insel -Ausgabe. Die kostet nur 6.50€.
Der Hörfunk-Beitrag im „SWR2 Journal am Morgen“ vom 4. 3.10:[media id=84 width=320 height=20]
Im Wunderland
Ich fand das Buch grandios. Der Film hat eine hübsche Optik aber ist viel zu zahm. Das Videospiel für die Wii ist übrigens überraschend gut gelungen.