Einer hielt die ihm von Rettenberger zugeschleuderte Thermoskanne wie einen glücklich gefangenen Ball. Die beiden anderen schienen in ihrem Schreck gefangen, sahen nur zu, wie Rettenberger, von einem Tisch zum anderen setzend, durchs halboffene Fenster verschwand“.
So fängt Martin Prinz Roman DER RÄUBER an. Benjamin Heisenberg bleibt bei seiner Verfilmung dich an der literarischen Vorlage. Prinz hat am Drehbuch mit geschrieben: Johann Rettenberger ist einer, der immer nur weg will. Dummerweise sitzt er wegen Raubüberfall im Gefängnis. Da hat er Zeit eisern sein Lauftraining zu absolvieren. Immer im Kreis auf dem Hof oder auf dem Laufband in der Zelle. Der oben beschriebene Ausbruchsversuch hat nichts gebracht. Irgendwann wird Rettenberger dann doch entlassen
Als Spitzenläufer bewältigt Rettenberger einen Marathon mit links. Und nicht nur das, nebenbei – gewissermaßen auf dem Weg – raubt er auch weiterhin mit verbesserter Kondition Banken aus. Das Geld interessiert ihn nicht, sondern der ultimative Kick.
Der Roman des österreichischen Schriftstellers Martin Prinz ist zum ersten Mal 2002 (Verlag Jung & Jung) erschienen. Eines der besten Bücher, das über die spezielle Mentalität von Marathonläufern geschriben wurde. Prinz läuft selber. Da hat er aus der eigenen Erfahrung heraus, den Rettenberger entwickelt. Dem geht über den Kick hinaus um Klarheit im Allgemeinen wie im Besonderen und das, bis zur letzten Konsequenz. Zwischenmenschliche Beziehungen sind da im Weg.
Interview mit Martin Prinz während des laufenden Berlinale-Betriebs im Berlinale Palast. Zwischendurch tauchte Ben Stiller auf:[media id=63 width=320 height=20]
Die sprachliche Präzision Martin Prinz in der Beschreibung eines Lebenskonzepts am Rande der Selbstzerstörung, ist von Benjamin Heisenberg filmisch imponierend angemessen umgesetzt worden. Auch auf der Leinwand dieselbe Absolutheit bei der Spurensuche nach der Ballance zwischen Innen-und Außenwelt. Zugleich eine Minimalisierung auf der Bild-und Tonebene, die bereits Heisenbergs „Schläfer“ so Aufsehen erregend gemacht hat.
Mit „Der Räuber“ trifft Benjamin Heisenberg einen Grundtenor, der in den meisten Filmen vorherrscht, die in der ersten Hälfte der 60. Internationalen Filmfestspiele von Berlin zu sehen waren: Menschen, die in einer anonymen, vom Einzelnen abrückenden Gesellschaft, auf der Suche nach Klarheit und innerem Gleichgewicht sind. Es besteht die Gefahr, in die Isolation abzudriften.
Nach „Der Schläfer“ erweist sich Benjamin Heisenberg mit „Der Räuber“ als ein Hoffnungsträger des deutschen Films.
Ein Interview mit Benjamin Heissenberg kurz vor der Premiere von „Der Räuber“ im „Berlinale Palast“: [media id=62 width=320 height=20]
Dann gab es noch den japanischen Wettbewerbsbeitrag CATERPILLAR (Raupe) von Koij Wakamatsu – einem der wichtigsten, aber in Europa weniger bekannten Regisseure Japans. Er erzählt eine einfache Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg. Ein Kriegsheld kommt nach Hause in ein kleines Dorf. Vielmehr, was von ihm nach schweren Verletzungen übrig ist – ein Torso, der weder hören noch sprechen kann. Allein der Sex funktioniert. Daraus entwickelt Wakamtsu eine Beschreibung der Versehrtheit durch den Krieg. Eine ebenfalls um absolute Klarheit in Bild und Inhalt ringender Film. Auch nicht sonderlich beruhigend.
Immerhin ein bisschen Hoffnung macht der norwegische Film A SOMEWHAT GENTLE MAN, Regie: Hans Petter Moland. Der „gentle man“ heißt Ulrik und der kommt nach zwölf Jahren aus dem Gefängnis, weil er einen umgebracht. Ein Rocker mit Pferdeschwanz in weit fort-geschrittenem Alter. Aber er kann immer noch – zur großen Freude seiner weiblichen Umgebung. Ulrik hat sich am Rand eingerichtet. Das sein Sohn nichts mehr von ihm wissen will, schmerzt allerdings. Unter düsterem norwegischen Himmel ist das eine Komödie, die entfernt an Kaurismäki erinnert. Doch Ulrik ist kein still leidender Ausgestoßener. Das Kämpfen hat er nicht verlernt. Auch das ein Film, dessen Bilder im Gedächtnis bleiben: vor allem dank der Kraft der Darstellung von Stellan Skarsgard. Ein erster Favorit für den silbernen Darsteller-„Bären“. Das war wieder ein spannender „Berlinale“-Kinotag!
Audio:
„Der Räuber“ – Der Film von Benjamin Heisenberg ist der erste deutsche Beitrag im Wettbewerb der Berlinale. SWR2 Journal am Morgen vom 16.02.2010
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