„Kein Paukenschlag, keine langwierig und diplomatisch ausgearbeiteten Richtlinien; auch kein ökumenischer Festgottesdienst begleitete vor 40 Jahren die Einrichtung der ersten „Ökumenischen Jury“ beim Filmfestival von Locarno“ (Julia Helmke, „Kirche, Film und Festival. Geschichte sowie Bewertungskriterien evangelischer und ökumenischer Juryarbeit in den Jahren 1948-1988“) Die Idee, die Kirchen verstärkt in die Filmfestspiele einzubinden, hatte der damalige Festival-Chef Moritz de Hadeln. Damit gab er dem Engagement der Kirchen im Bereich des Films eine neue Dimension. Inzwischen sind die „Ökumenischen Jurys“ weltweit ein wichtiger Bestandteil des Festivalalltags. Bei den morgen zu Ende gehenden diesjährigen Filmfestspielen von Locarno bildeten die Feierlichkeiten zum 40jährigen Jubiläum der „Ökumenischen Jurys“ einen Schwerpunkt im Rahmenprogramm.
Künstlerischer Höhepunkt der „Filmfestspiele von Locarno“ 1973 war der Film „Illumination“ des polnischen Regisseurs Krzysztof Zanussi: eine bildmächtige Parabel über den Geist der Freiheit. Im Mittelpunkt eine Gruppe junger Polen, der sich bei einer Exkursion in Gebirge in jeder Beziehung neue Horizonte erschließt. Dem Regisseur verweigerten die polnischen Behörden damals die Reise nach Locarno. In Abwesenheit Zanussis wurde „Illumination“ mit dem Hauptpreis des Festivals, dem „Goldenen Leoparden“, dem Preis der Filmkritik und dem erstmals verliehenen „Preis der Ökumenischen Jury“ ausgezeichnet. In der Begründung heißt es:
„Der Film akzentuiert auf überzeugende Weise, das Bild einer jungen Generation, die im vielfältigen Angebot moderner Wissenschaften nach den letzten Wahrheiten und deren Bezug im persönlichen Leben sucht.“
Der „Preis der Ökumenischen Jury“ war nicht nur für Locarno, sondern für alle Filmfestivals eine Novität, mit der die Beziehung der beiden großen christlichen Kirchen zum Film eine neue Qualität bekam. Julia Helmke, Pfarrerin, Medienwissenschaftlerin und diesjährige Leiterin der „Ökumenischen Jury“ in Locarno, hat über „Kirche, Film und Festivals“ (erschienen im Verlag Christliche Publizistik) ihre Dissertation geschrieben. Zum Hintergrund der Jury-Gründung schreibt sie:
„Seit Ende der 1960er Jahre ist, hauptsächlich auf Betreiben von „Interfilm“ immer wieder über Möglichkeiten vermehrter ökumenischer Kooperation im Bereich der Filmarbeit nachgedacht worden. Die Einrichtung einer ökumenischen Jury wird jedoch sowohl von protestantischer als auch von katholischer Seite als Experiment betrachtet, das 1973 in Locarno der Einmaligkeit stattfindet.“
Doch das „Experiment“ bewährte sich und wurde bald einem festen Bestandteil im Kanon der Filmarbeit beider Kirchen.
Allerdings kam der finale Impuls zur Gründung der „Ökumenischen Jurys“, die inzwischen bei allen wichtigen Filmfestspielen vertreten sind, nicht von den Kirchen selbst. Den Anstoß gab der 1973 neue Festival-Chef von Locarno, Moritz de Hadeln.
Er trat sein Amt bei einem Festival an, das der Kirchenleitung im Tessin ein Dorn im Auge war: Locarno das Sündenbabel am Largo Maggiore. De Hadeln trat die Flucht nach vorne an und lud via Vatikan hochrangige Kirchenvertreter ein. Darunter Ambros Eichenberger, damals als „Filmbeauftragter des Katholischen Mediendienstes“ eine allseits respektierte Persönlichkeit. Damit hat de Hadeln den moralischen Bedenkenträgern den Wind aus den Segeln genommen, ohne freilich daran zu denken eine Institution zu begründen.
Organisiert werden die Ökumenischen Jurys von SIGNIS und „Interfilm“ zwei international aufgestellten überkonfessionellen Organisationen. Praktizierte Ökumene – diskret im Hintergrund und doch höchst effektiv.
Als es noch nicht Allgemeingut war, lenkten die Jurys den Blick auf die weißen Flecken auf der filmischen Landkarte, verstanden sich weniger als Sprachrohr der amtlichen Kirchenmeinung, sondern als Wegweiser zu den Filmen, die sonst im Getriebe eines Filmfestivals unter zu gehen.
„Interfilm“ zum Beispiel versteht die Arbeit der Ökumenischen Jurys auch als Beitrag zur Filmförderung. Das heißt: für ausgezeichnete Film wird der Verleih übernommen, Folgeprojekte der Regisseur finanziell unterstützt. So leisten die Kirchen auch mit ihren „Ökumenischen Jurys“ einen mittlerweile unverzichtbaren Beitrag zur Filmkultur!