UK/Österreich/Frankreich/Brasilien 2011
Regie: Fernando Meirelles
Mit Anthony Hopkins, Rachel Weisz, Jude Law, Moritz Bleibtreu, Jamel Debbouze
Kinostart: 16. August 2012
„1921 führte das Theaterstück „Der Reigen“ von Arthur Schnitzler wegen seiner angeblichen „Freizügigkeit“ zu einem derartigen Skandal, dass der Autor selbst weitere Aufführungen untersagte. Erst 1982 wurde das Verdikt aufgehoben. Mit seinem Film „360“ will der mexikanische Regisseur Fernando Meirelles an Schnitzlers „Reigen“ anknüpfen. Hier wie dort geht es um Protagonisten, die einen Quer-schnitt durch die Gesellschaft verkörpern sollen, bei ihrer Suche nach Liebe und menschlicher Nähe. Der Einzelne und seine absolute Ein-bindung in gesellschaftliche Normen ist von jeher das wesentliche Thema von Regisseur Meirelles. Mit seiner verstörenden Studie über Kinder in den Südamerikanischen Favelas „City of God“ ist bekannt geworden. Lieferte dann mit „Der ewige Gärtner“ eine solide John Le Carré-Verfilmung ab, um zuletzt mit „Die Stadt der Blinden“ nach José Saramago dramatisch zu scheitern…
Michael (Jude Law) aus England ist als Geschäftsmann viel unterwegs. Darunter leidet seine Ehe mit Rose (Rachel Weisz). Weil auch im Bett seit längerem nichts mehr läuft, sehnt sich Michael während einer Dienstreise in Wien nach weiblicher Dienstleistung. Er bestellt die Escortdame Mirka (Lucia Siposová) in sein Hotel. Bevor Michael mit Mirka ins Geschäft kommen kann, mischt sich ein deutscher Kollege (Moritz Bleibtreu) ein. Er weiß mehr über Michael, als ihm lieb sein kann und einen siebten Sinn dafür, dass sich hier ein Seitensprung anbahnt. Die spitzen Bemerkungen deuten auf Erpressung hin… Michael verzichtet daraufhin auf die Liebesdienste der Prostituierten. Zumal ihm bewusst wird, wie sehr er seine Gattin Rose liebt. Die verzehrt sich allerdings im Londoner Heim nicht in Sehnsucht nach dem fernen Gemahl, sondern vergnügt sich mit dem feurigen brasilianischen Fotografen Rui (Juliano Cazarré).
Während Michael vom Latin-Lover seiner Frau keine Ahnung hat, ist dessen Freundin Laura (Maria Flor) dahinter gekommen. Zutiefst verletzt nimmt sie den nächsten Flieger in ihre Heimat Brasilien. Auf dem Flug sitzt Laura neben John (Anthony Hopkins), einem älteren Mann. Er hofft in Südamerika seine seit Jahren verschollene Tochter zu finden – sie müsste jetzt im Alter von Laura sein.
Ein Unwetter erzwingt kurz darauf einen Zwischenstopp in Denver. Auf dem Flughafen kommt Laura mit Tyler (Ben Foster) in Kontakt. Seine virile Männlichkeit zieht sie an. Die junge Frau macht ihm ein eindeutiges Angebot…
Dummerweise handelt es sich bei Tyler um einen Sexualstraftäter, der auf Bewährung in Freiheit ist. Er darf sich also nicht auf Laura ein-lassen, weil er damit seine Resozialisierung gefährden würde. So reiht sich in „360“ eine dramaturgische Pirouette an die nächste. Die Welt ist ein Dorf und rein zufällig haben alle irgendetwas mit einander zu tun.
Lose verknüpfte Handlungsstränge mäandern durch den Film, bis die „360 Grad“ – also der Anfang – wieder erreicht sind. Es geht Regisseur Fernando Meireilles und seinem Drehbuchautor Peter Morgan um nicht weniger als zwischenmenschliche Wechselbäder in schwierigen Zeiten, wie den unseren: Allgemeine Offenheit contra Gefühlskälte im Zwischenmenschlichen, existentielle Ängste vs. Halt und Geborgenheit, Liebe und Zuwendung. Die anspruchsvolle Absicht funktioniert in einigen Episoden von „360“ ganz passabel, in anderen aber nicht einmal ansatzweise.
„360“ ist ein Bilderbuch-Beispiel dafür, wie ein talentierter Regisseur über die eigenen Ambitionen ins Stolpern gerät. Wir haben es mit einem jener Filme zu tun, die man sich ansehen kann, aber nicht unbedingt muss…