Deutschland 2012
Regie: Sherry Hormann
Mit Antonia Campell-Hughes, Thure Lindhardt, Amalia Pidgeon
Kinostart: 28. Februar 2013
Im März 1998 wurde die 10jährige Natascha Kampusch in einem Wiener Außenbezirk auf dem Schulweg entführt. Erst acht Jahre später konnte sie sich aus der Gefangenschaft durch ihren Entführer befreien. Seit dem be-schäftigt der „Fall Kampusch“ die Öffentlichkeit – zumal sie selbst ihre traumatische Erfahrung mit Hilfe von Gazetten wie „Bild“ oder „Gala“ und einer Autobiographie aufarbeitet. Jetzt ist die Entführung, das jahrelange Leben in einem Kerker und die zufällige Befreiung verfilmt worden. Ebenfalls mit großer öffentlicher Anteilnahme startet „3096 Tage“ diesen Donnerstag in den deutschen Kinos.
Dokumentarische Spielfilme haben in letzter Zeit in Kino und Fernsehen Konjunktur, wobei die Wirklichkeit mehr oder weniger fiktional unterfüttert wird. Im Fall der Entführung und Selbstbefreiung der Natascha Kampusch reichen die Fakten aus, um daraus einen kinotauglichen Film zu machen. Da braucht es keine zusätzliche Fiktion: Der Leidensweg einer jungen Frau, der von einem Psychopaten die Kindheit geraubt wurde und die wie durch ein Wunder das Trauma ihrer achtjährigen Verschleppung überwunden hat und damit ein annähernd „normales“ Leben führen kann. Kampusch war aktiv an der Verfilmung ihres Schicksals beteiligt. Die Drehbuch-Autoren Bernd Eichinger und Ruth Toma sind von ihr beraten worden. In diversen Interviews betont sie, dass es sich bei dem Projekt um eine „Herzensangelegenheit“ von ihr handelt.
„3096 Tage“ ist also ein weiteres Stück Trauerarbeit für Natascha Kampusch. Ihr Entführer und Peiniger Wolfgang Priklopil hat Selbstmord begangen, nach dem seinem Opfer der Ausbruch aus dem Gefängnis gelungen ist. Das Verließ unter der Garage und das gesamte Haus sind für die Dreharbeiten im Münchner Bavaria-Atelier nachgebaut worden.
Von Anbeginn ihrer Gefangenschaft an, entwickelt die damals 10jährige Natascha Überlebensstrategien mit Rollenspielen oder ganz einfach, in dem sie die Schritte zählt von einer Wand zur anderen in ihrer Gefängniszelle.
Der arbeitslose Priklopil benutzt sein Opfer, um seine pathologischen Allmachtsphantasien auszuleben. Sein Repertoire reicht von körperlicher Mißhandlung, über Essensentzug bis zu verbalem Psychoterror.
Erfreulich zurückhaltend hat Sherry Hormann das Martyrium der Natascha Kampusch inszeniert, hakt behutsam die bekannten Fakten ab. Voyeure kommen definitiv nicht auf ihre Kosten.
Einen kleinen spektakulären Kick mochten sich Sherry Hormann und die Autoren von „3096 Tage“ dann doch nicht verkneifen: Die Antwort auf die Frage nach dem Sex zwischen dem Peiniger und seinem Opfer: Kampusch hat sie in ihrer Autobiographie ausgeklammert. Jetzt wissen wir auch das: Die Umstände waren so bizarr wie alles in diesem Entführungsfall. Priklopil hat sich zum Beischlaf mit einem Kabelbinder an seine minderjährige Gefangene gefesselt. Ob wir das bis ins Detail wissen wollen, ist eine andere Frage und das Problem dieses Films! Abgesehen von diesem Tabubruch, verfügt er nämlich über keinen „Mehrwert“ gegenüber dem bisher Bekannten. Da gab es in der Vergangenheit Besseres über die fatale Opfer/Täter-Beziehung im Kino zu sehen. Zum Beispiel „Michael“ von Markus Schleinzer. Er wurde zu dem 2011 in Cannes uraufgeführten und inzwischen mehrfach ausgezeichneten Film übrigens vom Fall Kampusch insiriert…
Die intensive Darstellung der ausgezeichneten englischen Schauspieler in „3096 Tage“ wird schließlich durch eine schlampige deutsche Synchronisation ruiniert: was bleibt ist ein Stück Dokufiction auf dem Niveau eines gediegenen deutschen Fernsehspiels. Anders ausgedrückt: „3096 Tage“ gehört zu jenen Filmen, die die Welt eigentlich nicht braucht!