Böig auffrischende Winde mit Schauerneigung machen Cannes in diesen Tagen eher ungemütlich. Hat sein Gutes: also Kinowetter. Aber was da geboten wird, ist wie das Wetter draußen durchwachsen und ebenfalls meistens keine reine Freude: das Programm des Wettbewerbs legt den Schluss nahe, dass hier unbesehen geordert wurde. Weil sich A: das Darsteller-Ensemble auf dem Roten Teppich gut macht oder B: der Regisseur schon öfter Gast an der Cote d’Azur war.
Zu A zählt sicher der Teenager-Schwarm Shia LaBeouf, der zusammen mit Tom Hardy, Guy Pearce und Mia Waskowska zum Personal des Prohibitions-Westerns „Lawless“ gehört, der von harten Männern in den 1930ern erzählt und unter Anderem das Publikum darüber aufklärt, dass das mit dem Kehle durchschneiden doch schwieriger ist, als bisher ange-nommen. Der meistens vitalen Kollegin von einer Münchner Tageszeitung soll dabei schlecht geworden sein.
Der Star für den Glamour und hinter der Kamera ein Freund des Hauses Fremeux, das kulminiert sich in dem Dänischen Film „The Hunt“ mit Mads Mikkelsen und Regisseur Thomas Vinterberg. Mikkelsen spielt einen kinderfreundlichen Kindergärtner und Sonntagsjäger, der im heimischen Forst mit Kumpeln auf Hirsche ansitzt.
Da setzt die fünfjährige Klara, weil sie sich von dem Jäger nicht genügend ästimiert fühlt, das Gerücht in die Welt, er habe ihr seinen „Willy“ gezeigt. Da ist es aus mit der Jagdkumpanei und Mads wird als vermeintlicher Pädophiler gejagd. Hochdramatisch und absehbar. Zum Schluß wird fast alles gut und Sohnemann Jungjäger. Hallali – wir kennen das aus mancherlei „Tatorten“. Aber in Cannes?
Vor vier Jahren erntete Matteo Garrone mit seiner dokufiktionalen Bestseller-Verfilmung „Gomorra“ großes Lob in Cannes. Er wußte mit den Meriten leider nicht viel anzufangen. Sein neuer Film im diesjährigen Programm heißt „Reality“ und erzählt die Passionsgeschichte eines schlichten neapolitanischen Fischers, der unbedingt zu „Big Brother“ will. Gefilmt mit einem Hang zum Neorealismus vermittelt der zudem um-ständlich inszenierte Film die Botschaft, das beim Fernsehen nicht alles Gold ist, was glänzt. Auch das haben wir schon einmal gehört… Die Musik hat immerhin Alexandre Desplat beigesteuert – also – wie meine Nach-barn zu Linken wie zur Reichten – Augen zu und entschlummern…
Der einzige Lichtblick der letzten Tage kommt aus Rumänien: der neue Film von Cristian Mungiu („4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage“), Palmengwinner 2007! „Beyond the hills“ ist der Titel einer Ballade über das Verhängnis einer geschlossenen Gesellschaft, Tauwetter und das Inhumane jeglicher Dogmen. Bezwingend und lange nachwirkend, weil es dem Regisseur gelingt, eine Gesellschaft des Übergangs mit bisher nie gesehenen Bildern zu beschreiben: „…der Winter nimmt einmal wieder kein Ende“, sagt einer am Schluss des Films und ordert eine Autowäsche!
Heute bietet Cannes ein ganz breites Spektrum: von Haneke („Liebe“) bis Dario Argento. Der italienische Schmuddelfilmer hat (Huch wie originell!!)“Dracula“ in 3D verfilmt – mit – man staune – unserem Thomas Kretschmann als Fürst der Finsternis. Der Mann schreckt wirklich vor nichts zurück, macht aber auf jedem Roten Teppich eine ausgezeichnete Figur…