Zu den wichtigsten Filmen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehört „Apocalypse Now“, den Francis Ford Coppola 1978/79 gedreht hat und der als einer der nachhaltigsten Antikriegsfilme in die Geschichte eingegangen ist. Arthaus-Kinowelt hat dieser Tage das bedeutsame Werk in einer opulenten 3-Disc-Deluxe-Edition auf Blu-Ray neu aufgelegt.
Captain Willard (Martin Sheen) wartet in einem Hotelzimmer in Saigon auf einen weiteren Kriegseinsatz. Nach einem desaströsen Heimaturlaub ist er eigentlich froh, wieder in Vietnam zu sein. Willard gehört zu einer Spezialeinheit der US-Army für „unkonventionelle Kriegsführung“. Der neue Einsatzbefehl kommt früher als gedacht und fällt aus dem Rahmen: Willard soll den offensichtlich psychisch kranken Colonel Kurtz ausschalten, der sich von der Armee abgesetzt und im kambotschanisch-vietnamesichen Grenzgebiet eine Kolonie eingerichtet hat, die er brutal beherrscht. Seine Existenz ist den Vereinigten Staaten peinlich, deshalb soll Kurtz möglichst unauffällig beseitigt werden.
Kurtz Refugium ist nur mit einem Patrouillenboot Fluss aufwärts erreichbar. Für die streng geheime Mission sind Willard vier Soldaten zugeteilt worden. Einer von ihnen wird von dem damals 14jährigen Laurence Fishburne verkörpert. Mit wenig Enthusiasmus machen sie sich auf die Reise.
Bevor es richtig los geht, werden Willard und seine Begleiter von Colonel Kilgore (Robert Duvall) aufgehalten. Der pflegt die Kampfkraft seiner Hubschrauberstaffel durch die Beschallung des Angriff-Ziels mit Wagners Walküren-Ritt zu verstärken. Eine der heftigsten Szenen der Filmgeschichte. Außerdem ist Kilgore begeisterter Surfer. Als sich einer der Soldaten als Star der kalifornischen Surf-Szene herausstellt, gibt es für ihn kein Halten mehr. Obwohl sich die Einheit mitten in einem Scharmützel mit dem Vietcong befindet, ordnet Kilgore einen Surf-Turn an. Um die störenden Gegner auszuschalten, läßt er die feindlichen Stellungen mit Napalm bombardieren.
Dummerweise verändert der durch das Napalmbombardement ausgelöste Flächenbrand die Windverhältnisse. An Surfen ist jetzt nicht mehr zu denken. Dankbar den gestörten Colonel los geworden zu sein, starten Willard und seine Gruppe endlich zu ihrer Mission flußaufwärts.
Beim Auftanken des Motorbootes werden Willard und seine Leute Zeuge einer abendlichen Show zur Stärkung der Truppenmoral, bei der sich Playmade-Girls präsentieren. Das endet in Handgreiflichkeiten der enthemmten GI’s. Das die Amis in Vietnam in jeder Beziehung keine Hemmungen kennen, zeigt sich am nächsten Tag, als Willard und sein Trupp einem Boot mit einer vietnamesischen Bauernfamilie begegnen. Erst wird sie von den Soldaten rüde nach vermeindlichen Waffen durchsucht; dann eröffnen die GI’s aus nichtigem Anlass das Feuer. Eine junge Frau überlebt schwerverletzt das Massaker, da greift Willard zur Pistole und erschießt sie.
So geraten die GI’s immer weiter „ins Herz der Finsternis“. Die Erzählung Joseph Conrads bildete für Francis Ford Coppola und seinen Drehbuchautoren John Milius den inhaltlichen Ausgangspunkt des Drehbuchs zu „Apocalypse Now“: die beklemmende Geschichte eines Kapitäns, der auf einer seiner Reisen in einen fernen subtropischen Kontinent erlebt, die ein Europäer dabei ist, die symbiotische Beziehung der Bewohner mit der Natur nachhaltig zu zerstören. Kongenial integrierten Coppola und Milius Conrads Alptraum in die nüchterne Beschreibung des Kriegsalltags in Vietnam, die auf den Reportagen von Michael Herr basieren.
„Apocalypse now“ steht an der Kaimauer zum Eingang in das Refugium des Colonel Kurtz. Als Vermittler bietet sich Willard ein offensichtlich unter Drogen stehender Reporter (Dennis Hopper) an. Ohne sonderlichen Erfolg.
Während Willard selbst in die Gefangenschaft von Kurtz (Marlon Brando) gerät, werden seine Begleiter bis auf einen umgebracht. Kurtz spricht das aus, was die Kriegsherren im Pentagon denken: den totalen Krieg nach faschistischem Muster; die fatalistische Dialektik von Tod, Zerstörung und Wiedergeburt aus dem Chaos. Die Faszination des reinen Horrors.
Die chaotischen Dreharbeiten zu „Apocalypse Now“ auf den Philippinen sind Legende. Coppolas Frau Eleanor hat darüber einen eigenen Film gedreht: „Hearts of Darkness“.
Der Dokumentarfilm gehört auch zu den Extras dieser neuen 3-Disc-Blu-Ray-Edition von „Apocalypse Now“. Der Film hatte bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere und löste zwiespältige Reaktionen aus. Trotzdem gewann Coppola damit die „Goldene Palme“ – allerdings „Ex aequo“ mit Volker Schlöndorffs „Blechtrommel“.
Über 20 Jahre später hat Francis Ford Coppola „Apocalypse Now“ noch einmal überarbeitet und den Film als „Apocalypse Now – Redux“ präsentiert.
Über 50 Minuten länger als die bisherige Fassung und in den entscheidenden Passagen neu geschnitten, beseitigte sie die seltsamen Unklarheiten und Indifferenzen, die bisher die Rezeption von „Apocalypse Now“ erschwerten. Zum Beispiel der Feuerzauber am Schluss, der die faschistische Haltung von Kurtz zu unterstreichen schien. Außerdem hatte sich John Milius in den 1980er Jahren als Ober-Nazi Hollywoods zu profilieren versucht. Davon zeugt u. A. sein reaktionäres Machwerk „Die rote Flut“. Inzwischen scheint er sich geläutert zu haben.
Jedenfalls ist davon jetzt nicht mehr die Rede: in einem langen Gespräch zwischen ihm und Coppola über die Konzeption von „Apocalypse Now“ übt sich Milius im Bonusteil der Edition in politischer Zurückhaltung und mit humanistischem Anspruch!
Die neue „Apocalypse Now“-Edition bietet insgesamt Neun Stunden Extras. Zu den besonderen „Bonbons“ gehört zum Beispiel eine szenische Lesung von Conrads „Herz der Finsternis“ durch Orson Welles und seinem Mercury Theater vom 6. November 1938.
Kaum ein Aspekt des Ausnahme-Films bleibt bei dieser Edition außen vor. Sie erlaubt nicht nur den direkten Vergleich der beiden Fassungen. Es gibt Dokumentationen über den Schnitt, die Farbgestaltung und die Tonmontagen. Alles Bereiche bei denen die Macher Neuland betraten.
Die 3-Disc-Deluxe Edition von „Apocalypse Now“ gehört mit zum Besten, das bisher auf Blu-Ray veröffentlicht wurde. Die Möglichkeiten dieses Speichermediums voll ausgeschöpft worden. Das Ganze bekommt man in edler Verpackung für preiswerte 26 Euro!
Übrigens: das Einzigartige von „Apocalypse Now – Redux“ bekommt eine weitere Dimension nach der Lektüre von Joseph Conrads „Herz der Finsternis“. Es gibt davon mehrere deutsche Übersetzungen. Da zeigt sich, dass wir es mit auch mit einer außergewöhnlichen Literaturverfilmung zu tun haben. Wie es gelang, Kapitän Marlow in der Erzählung zu Captain Willard im Film zu machen ist grandios!