Die Veröffentlichung von TV-Serien der unterschiedlichsten Qualität sind neben amerikanischen Blockbustern die Hits im DVD/Blue-Ray-Geschäft. In der vielen Spreu finden sich aber genauso kontinuierlich die feinsten Raritäten in besten Editionen. Hier Neuerscheinungen aus den letzten Monaten, die jede anspruchvolle Sammlung zieren:
1912 hat Georg Kaiser mit „Von morgens bis mitternachts“ ein visionäres Theaterstück geschrieben, das die Katastrophen der nächsten Jahre beklemmend authentisch vorher sah. 1920 wurde es von Karlheinz Martin verfilmt: es ist neben „Das Kabinett des Dr. Caligari“ der konsequenteste Versuch, Expressionismus und Film auf einen Nenner zu bringen. Im Gegensatz zu Robert Wienes Film, führte „Von morgens bis mitternachts“ jedoch über Jahrzehnte ein Schattendasein in der Filmgeschichte.
In „Von morgens bis mitternachts“ geht es um eine aus den Fugen gegangene Welt. Ein Mann – Täter und Opfer in einer Person – lässt sich beziehungslos durch eine befremdliche Großstadt treiben. Ebenso bizarr wir die Handlung ist die Rezeptionsgeschichte des Films: ein Kinoeinsatz in Deutschland ist nicht nachzuweisen.
Dafür aber in Japan. In einem japanischen Archiv wurde dann auch 1962 eine Kopie des Films entdeckt, die vom Filmarchiv der DDR erworben wurde. Zu sehen war „Von morgens bis mitternachts“ trotzdem kaum. Jetzt ist der Film verdienstvoller Weise in der „edition filmmuseum“ auf DVD veröffentlicht worden. Mit zwei Musikversionen: des SchlagEnsembles H/F/M zum Einen und einer Komposition von Yati Durant zum Anderen. Ein ausführliches Booklet informiert über die Geschichte dieses außergewöhnlichen Films.
Zehn Jahre später: Ein Mann schärft sein Rasiermesser. Eine schmale Wolke teilt den Vollmond. Das Gesicht einer Frau in Großaufnahme. Das Rasiermesser durchschneidet ein Auge. Diese Schocksequenz machte 1929 den Film „Ein andalusischer Hund“ zum Skandal und die beiden Macher Salvador Dali und Luis Bunuel weltberühmt. Der radikalste Film des Surrealismus.
1930 folgte der zweite Film der beiden „Das goldene Zeitalter“. Nicht weniger rigoros wie der Vorgänger gingen Dali und Bunuel mit einer dekadenten, bigotten Gesellschaft zu Gericht: Während einer Party der High Society brennt die Küche ab und im Hof erschießt ein wütender Vater seinen Sohn, ohne das die Gesellschaft besonders erschüttert wäre.
Das Label „Pierrot le fou“ hat die beiden Frühwerke Luis Bunuels, die er zusammen mit Salvador Dali realisierte, in einer vorzüglichen DVD-Edition aufgelegt. Im Bonusteil eine ausführliche Dokumentation zu Leben und Werk Bunuels. Sie wird mit einem Booklet ergänzt, mit den Kapiteln zum „Andalusischen Hund“ und dem „Goldenen Zeitalter“ aus Bunuels Autobiographie „Mein letzter Seufzer“.
Zu den wenigen experimentellen Filmen im Nachkriegswestdeutschland gehört „Die Parallelstraße“ von Ferdinand Khittl aus dem Jahr 1962. Khittl – Jahrgang 1924 – hatte das Handwerk des Filmemachens als Regie-Assistent – u. a. Luis Trenkers – gelernt. Ab 1955 begann er mit eigenen Dokumentar-und Industriefilmen seine Regie-Karriere. Er war einer der ersten deutschen Filmdozenten und Väter des „Oberhausener Manifestes“ und damit auch des „Jungen Deutschen Films“. „Die Parallelstraße“ als spannendes Beispiel für die Veränderungen im deutschen Film nach 1960 sollte Khittls einziger abendfüllender Film bleiben. Er starb nach langer Krankheit 1976. In der edition filmmuseum ist dieses Schlüsselwerk der neueren deutschen Filmgeschichte jetzt auf DVD erschienen. Dazu gibt es eine Auswahl von Khittls Kurzfilmen und das gewohnt ausführliche Booklet. Wiedergutmachung an einem Vergessenen.
Faszinierende Experimente mit der Verbindung aus Oper und Film: das Frühwerk von Werner Schroeter. Insbesondere „Eika Katappa“ von 1969 mit Carla Aulaulu und Magdalena Montezuma. Die Ästhetik des Schreckens verdichtet sich zu einer kühnen Hommage an die italienische Oper und Schroeter-Lieblingssängerin Maria Callas:
Sein Debut „Maria Callas Porträt“ drehte Schroeter 1968 auf 8mm . Es gehört zum Bonusteil der Doppel-DVD mit Werner Schroeters Frühwerk – ebenfalls aus der edition filmmuseum. Dazu „Der Tod der Maria Malibran“ (1972) und „Argila“ (1969). Exquisit wie alle Ausgaben dieses feinen Labels. Zum schönen Booklet ein Interview mit Werner Schroeter, das Dietrich Kuhlbrodt kurz vor dem Tod des Regisseur im vergangen Jahr mit ihm geführt hat.
Einer, der Zeit seines Lebens nicht nur um neue filmische Ausdrucks-formen kämpfte, sondern gleichzeitig gegen die Ignoranz der Kultur-bürokratie in der damaligen Sowjetunion war Andrej Tarkowskij. 1983 nahm er einen Auslandsaufenthalt in Italien zum Anlass zur Emigration.
In Italien realisierte Andrej Tarkowskij 1983 „Nostalghia“. Kaum verschlüsselt drehte er damit einen Film über die Tragik des eigenen Schicksals über den er später sagte: „Wie kann ein Mensch normal, vollwertig leben, wenn er sich von seinen Wurzeln losgerissen hat? Auf Russisch ist ‚Nostalghia‘ eine Krankheit, eine lebensgefährliche Krankheit“. Unter dieser „Krankheit“ leidet Tarkowskijs alter ego in diesem Film.
Selten ist der Verlust von Heimat, der eigenen Mitte, derart beklemmend und dabei in einer grandiosen Bildsprache formuliert worden, wie von Tarkowskij in „Nostalghia“. Ein innovatives Stück Filmgeschichte. Lange nicht zu sehen gewesen, hat Alamode den Film auf DVD veröffentlicht. Neben der deutschen Synchronisation steht zum ersten Mal auch die italienisch-russische Originalfassung zur Verfügung. Sie wird von der Dokumentation „Meeting Andrej Tarkowskij“ ergänzt.
Zu den innovativsten Filmemachern der Gegenwart gehört der Thailänder Apichatpong Weerasethakul. Auch in seinen Arbeiten geht es um die filmische Erforschung von Momenten des Übergangs. Sein jüngster Film „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“ wurde im vergangenen Jahr mit der „Goldenen Palme“ in Cannes ausgezeichnet. Sterben als Transformation.
So ist das bisher noch nie im Kino zu sehen gewesen. Deshalb kann angenommen werden, das „Uncle Boonmee“ einmal in derselben Reihe mit den Filmen Tarkowskijs stehen wird. Die DVD gibt es von Lighthouse Home Entertainment. Im Bonusteil ein Interview mit Weerasethakul. Filme die man einfach kennen sollte auf DVD: „Morgens bis mitternachts“, „Der andalusische Hund/Das goldene Zeitalter“, „Die Parallelstraße“, „Nosthalgia“ und „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“ gibt es auf sorgfältig edierten DVDs – die jeweils rund 25 Euro kosten.