USA 2009
Regie: Rob Epstein & Jeffrey Friedman
Mit James Franco
Kinostart: 6. Januar 2011
Ende der 1940er trat eine junge Generation von Intellektuellen in den USA den Rückzug aus der Nachkriegsgesellschaft an. Sie nannte sich „Beat Generation“. Dazu gehörten vor allem die Schriftsteller William S. Burroughs, Jack Kerouac und Allen Ginsburg. 1957 wurden sie vom langen Arm der Gesellschaft eingeholt. Ein ehrgeiziger Staatsanwalt machte Ginsburgs Verleger den Prozess, weil er das Gedicht „Howl“ veröffentlicht hatte. Inzwischen als Meilenstein der modernen Literatur anerkannt, wurde ihm damals vorgeworfen, pornographisch zu sein. „Howl – Das Geheul“ heißt der neue Film, den die renommierten amerikanischen Regisseure Rob Epstein & Jeffrey Friedman („Wer war Harvey Milk“, „The Celuloid closet“) über die Affäre Ginsberg gedreht haben. Nach seiner Uraufführung bei den Berliner Filmfestspielen 2010 startet das ungewöhnliche Werk diese Woche in den deutschen Kinos.
Am 7. Oktober 1955 rezitiert der junge Dichter Allen Ginsberg in der Six Gallery in San Francisco sein episches Gedicht „Howl – Das Geheul“ vor. Vor dem Hintergrund des Korea-Krieges, der Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs handelt „Howl“ von einer verlorenen Generation, die sich im Drogenrausch aus der Gesellschaft verabschiedet hat. Eine inhaltlich wie formale Grenzüberschreitung.
Unter dem Titel „Howl and other poems“ erscheint das Gedicht 1957 in einer Kleinstauflage von 500 Exemplaren veröffentlicht, die kurz darauf von der Polizei beschlagnahmt wird. Der Verleger Lawrence Ferlinghetti muss sich wegen Verbreitung obszönen Schrifttums vor Gericht verantworten. Vor allem eine Zeile hatte bei der Staatsan-waltschaft Anstoß erregt, in der es heißt: „Who let themselves be fucked in the ass by saintly motorcyclists and screamed with joy…“
War Ginsbergs Gedicht „Howl“ bis dahin lediglich in den literarischen Zirkeln von San Francisco bekannt gewesen, sorgte das Strafverfahren für landesweite Publizität und machte den Autor gewissermaßen „über Nacht“ berühmt. Der Prozess entwickelte sich unter der Hand zu einer der ersten juristischen Auseinandersetzungen nach dem Zweiten Weltkrieg über die grundsätzliche Frage: „Was darf Kunst?“. Richter Clayton Horn verdankt die Nachwelt ein zukunftsweisendes Urteil. Er sprach sich für die Freiheit der Kunst und damit Verleger und Autor vom Vorwurf der Obszönität frei.
Auf drei dramaturgischen Ebenen näherten sich die Regisseure Rob Epstein & Jeffrey Friedman in ihrem Film „Howl – Das Geheul“ einem Schlüsselwerk der modernen Literaturgeschichte und seinen Folgen: in einem fiktiven Interview, das auf autobiographischen Äußerungen Allen Ginsberg beruht, geht es um das Selbstverständnis des (von James Franco gespielten) Autors.
Breiten Raum nimmt in „Howl“ die Rekonstruktion der Gerichtsverhandlungen ein, die gelegentlich an absurdes Theater erinnern. Etwa wenn der Staatsanwalt eine Englischlehrerin als Zeugin vernimmt, die mit Ginsbergs Gedicht wenig anzufangen weis…
Am wenigsten überzeugt in Rob Epstein & Jeffrey Friedmans Film der Versuch, Allen Ginsbergs Gedicht durch Computer animierte Sequenzen zu illustrieren. Wenn es um Orgasmus geht, explodieren zum Beispiel Riesen-Penisse in bengalischem Feuerwerk. Da gerät das Ganze bisweilen an den Rand des Trivialen. Insgesamt jedoch ist mit „Howl“ ein aufschlussreiches Zeitgeiststück gelungen, dass Lust macht, sich einmal wieder mit der „Beat Generation“ zu beschäftigen!
Ginsbergs „Howl“ gibt es im englischen Original im Internet, eine deutsche Übersetzung ist seit langem Vergriffen. Die in den 1990er Jahren und 2004 erschienen Ausgaben werden von modernen Antiquariaten angeboten. Dafür muss allerdings um die 100 Euro angelegt werden.
Besser sieht es bei den anderen Hauptwerken der „Beat Generation“ aus: Jack Kerouacs „On the road“ ist erst kürzlich von Rowohlt neu aufgelegt worden und zwar in der erstmals ins Deutsche übertragenen Urfassung. Für kommenden Sommer kündigt derselbe Verlag „Naked Lunch“ von William S. Burroughs – ebenfalls in der ursprünglichen Fassung – als rororo-Taschenbuch an. Bleibt zu hoffen, dass sich ein deutscher Verleger auch einmal wieder Allen Ginsbergs erbarmt…