Wenn die Blätter fallen und sich das Jahr langsam dem Ende zu neigt, zieht es den Filmfreund ins fränkische Hof an der Saale. Einer zugigen Kleinstadt mit begrenztem Charme. Der Höhepunkt des Jahres sind hier die „Internationalen Hofer Filmtage“. Da verschmilzt – meist in drangvoller Enge – unvergleichlicher Kinogenuss mit familiärem Ambiente.
Die meisten kommen seit Jahrzehnten: deshalb gehört nicht nur der Gründer und Leiter der Filmtage Heinz Badewitz mit seinen unvergleichlichen Ansagen vor dem Filmen zum unverzichtbaren „Inventar“, sondern auch das „Hotel Strauß“ und die lästerlichen Runden am Abend.
An den diversen Würstchenbuden zwischen und vor den Kinos sollen sogar überzeugte Vegetarier schwach werden….
Unvergleichlich auch die Grandezza, mit der die guten Seelen der Organisationsbüros das gelegentlich aufbrandende Chaos beherrschen; für den Journalisten immer eine Stütze: Ana Radica!
Hier konnten sich bereits Doris Dörrie und der Schauspieler Sven Pippig bewähren…
In diesem Jahr begehen die Internationalen Hofer Filmtage nicht nur ihr 44. Festival, sondern feiern auch gleichzeitig ein Jubiläum: 40 Jahre „Five Easy Pieces“ („Ein Mann sucht sich selbst“) von Bob Rafelson. Der Klassiker mit Jack Nickolson von 1970 begründete Rafelsons Karriere als einer der ersten Regisseure des New American Cinema, des New Hollywood. Die Hofer Filmtage zeigen den Film mit einer neuen Kopie, wie auch weitere Filme des US-Regisseurs, darunter „Head“, „Stay Hungry“ und „The Postman always rings twice“, ferner „The King of Marvin Gardens“, „Mountains of the Moon“, „Blood & Wine“ und „Black Widow“. Bob Rafelson ist die diesjährige Retrospektive gewidmet, die er persönlich vor Ort präsentieren wird.
Die Internationalen Hofer Filmtage eröffnen am Dienstag, den 26. Oktober 2010 mit „Das Lied in mir“ von Florian Cossen mit Jessica Schwarz und Michael Gwisdek in den Hauptrollen.
Eben in Zürich und in Montreal ausgezeichnet, handelt es sich bei DAS LIED IN MIR um eine Koproduktion zwischen der Filmakademie Baden-Württemberg, teamworx und dem SWR. Ausführender Produzent ist Jochen Laube, der unter anderem mit NOVEMBERKIND Furore machte.
Auf ihrer Reise nach Chile hört die 31-jährige Maria während eines Zwischenstopps in Buenos Aires ein Kinderlied. Ohne es zu verstehen, erinnert sie sich an den spanischen Text und die Melodie. Sie unterbricht ihre Reise und bleibt in der fremden Stadt. Während Maria sich auf die Suche nach einer Erklärung macht, taucht plötzlich ihr Vater Anton in Buenos Aires auf. Die Reise führt beide zu einer schmerzlichen Wahrheit und Erkenntnis. „Das Lied in mir“ ist Florian Cossens erster Spielfilm.
Aus mehr als 2.500 Einreichungen hat Festivalleiter Heinz Badewitz ca. 120 Kurz- und Langfilme ausgewählt, die das herbstliche Produktionsvolumen aus dem In- und Ausland widerspiegeln. Viele der jungen Nachwuchstalente demonstrieren ihre ersten filmischen Versuche in Kurzfilmen oder präsentieren ihre ersten langen Filme.
Unter den deutschen Produktionen sind u.a. zu sehen: „Satte Farben vor Schwarz“ von Sophie Heldmann mit Senta Berger und Bruno Ganz als Ehepaar, das seit fast 50 Jahren verheiratet ist und am Scheidepunkt ihrer Beziehung steht.
Mit „Krankheit der Jugend“ begibt sich Dieter Berner auf ein Experiment. Sieben Studenten der Abschlussklasse Schauspiel der HFF „Konrad Wolf“ sind die eigentlichen Schöpfer der szenischen Vorlage zu seinem Film und der Figuren, die in einer WG in einer Villa in Berlin zwischen Studium, Party und verwirrten Beziehungsgeschichten pendeln. Mit „Der Mann, der über Autos sprang“ von Nick Baker-Monteys gibt es ein Widersehen mit Robert Stadlober als weltfremder Julian, der eine Mission erfüllen will, aber dann Ju (Jessica Schwarz) begegnet.
Isabel Stever präsentiert „Glückliche Fügung“ nach einer Kurzgeschichte von Anke Stelling. Ayse Polat erzählt mit „Luks Glück“ wie eine türkische Familie den Jackpot knackt und ihr Glück sucht.
Chris Kraus zeigt seinen neuen Film „Poll“. Die 14-jährige Oda von Siering kehrt 1914 nach dem Tod ihrer Mutter auf das entlegene Gut Poll der Familie an der baltischen Ostseeküste zurück, ohne sich richtig zu Hause zu fühlen. Als sie sich heimlich um einen verletzten estnischen Verwundeten kümmert, kann das fatale Folgen für die Familie bedeuten.
Auch dieses Jahr zeigt, dass die spannendsten Geschichten bei den Dokumentarfilmen zu finden sind, gleich 12 deutsche Dokfilme hat Heinz Badewitz nach Hof eingeladen, darunter Filme mit Themen über religiöse Pilger, „3 Frauen für Toni“, über Kinderwelten in „7 oder warum ich auf der Welt bin“, über die schwierige Diskussion um einen entlassenen Straftäter in „Auf Teufel komm raus“ und bis zu den Hoffnungen von Pia und David in „Das eine zieht das andere“, in dem ein traumatisierter US-Deserteur aus dem Irak versucht mit seiner Frau zu einem normalen Leben zurückzufinden. Der Film „Feindberührung“ führt zurück in die DDR vor 30 Jahren: der Lebensweg zweier junger Männer entwickelt sich gegensätzlich; heute kommt es zu einer emotionalen Begegnung beider vor dem Hintergrund von Staatssicherheit, IM-Verflechtung und Glaube an die sozialistische Gesellschaft. Auch Wolle Ettlich zeigt mit „Die Neumanns – Eine Familiengeschichte über 30 Jahre“ eine Geschichte aus dem ehemaligen Osten: Die Fortsetzung seines 1994 in Hof gezeigten Portraits von Oliver Neumann, „Irgendwie Power machen“, den er 15 Jahre lang auf seinem Weg um Erwachsenwerden begleitet hat. Inzwischen ist Oliver Neumann selbst Vater pubertierender Söhne.
Stanislaw Mucha führt in die Welt der Vampire und begibt sich auf eine Reise nach Rumänien mit „Die Wahrheit über Dracula“. Silvia Beck portraitiert mit „Nyman in Progress“ den Künstler und Musiker Michael Nyman, einer der großen Komponisten unserer Zeit, der vor allem durch seine Arbeiten für Peter Greenaway und Jane Campions „Das Piano“ bekannt wurde. „Ich Koch“ von Bettina Timm erzählt von zwei Kochlehrlingen, die davon träumen Sterneköche zu werden. Julian Benedikt geht in „Longing for Beauty – Sehnsucht nach Schönheit“ dem Wesen und der Bedeutung von Schönheit in unserer heutigen Gesellschaft nach.
Viele der europäischen Filme sind in Zusammenarbeit mit deutschen Co-Produktionen entstanden, so der deutsch-marrokanische Kompilationsfilm „24h Marrakech“, zu dem jeweils drei Regisseure aus Marokko und Deutschland einen Beitrag lieferten. „Marieke, Marieke“ von Sophie Schoukens konfrontiert Marieke, die in einer Brüsseler Schokoladenfabrik arbeitet, mit der Wahrheit über ihren toten Vater. Und Nicole Mosleh wirft in „Nemesis“ mit Ulrich Mühe und Susanne Lothar einen Blick in die Abgründe einer Liebe, eine deutsch-italienische Co-Produktion.. Die finnisch-deutsche Produktion „Atme“ von Magoscha Siwinska und Nicki Durand portraitiert die gespenstische Beziehung zweier Menschen. Und „Woman with a broken nose“ von Srdan Koljevic ist ein Film über das Belgrad von heute, in dem Menschen wieder Lebenshoffung haben und versuchen die Narben des Krieges hinter sich zu lassen. Auch Dennis Todorovic‘ „Sascha“ über das schwierige Coming-out eines Jungen in einer Familie, in der „harte“ Kerle zählen, greift ein Thema aus Ex-Jugoslawien auf.
Das internationale Programm umspannt einen Bogen von einem zum anderen Ende der Welt: von Norden – aus Grönland – bis zum Süden – aus Peru, Australien und Neuseeland – von Osten – Hongkong – bis zum Westen – den USA. Die Filme weisen ein breites Spektrum an Themen, Sujets und Geschichten auf, allesamt spannend, menschlich, emotional und bewegend. Zu nennen sind unter anderem:
Mike Leigh mit „Another Year“, Shimmy Marcus mit „Soulboy“ und Ashley Horner mit „Brillant Love“ aus Großbritannien. Aus Neuseeland kommen die Filme „Matariki“ von Michael Bennet und „After the Waterfall“ von Simone Harrocks; Nadja Tass kommt mit „Matching Jack“ aus Australien; aus Hongkong „Guang Ban / Sun Spots“ von Yang Heng. Ernesto Cabellos aus Peru stellt seinen Film „De Ollas y Sueños / Cooking up Dreams“ vor. Aus Grönland kommt der Film „Nuummioq“ von Otto Rosing und Toben Bech. Aus Österreich ist Peter Kern mit seinem neuen Film „King Kongs Tränen“ vertreten wie auch Michael Pfeifenberger mit „Todespolka“, der bereits schon 2005 und 2007 seine Filme in Hof präsentierte. Aus der Schweiz sind dabei Norbert Wiedmer, vergangenes Jahr mit „Sounds and Silence“ vertreten, und Enrique Ros mit „Meisterträume“, Stefan Haupt mit „How about love“, Katalin Gödrös mit „Songs of love and hate“, Stéphanie Chuat und Véronique Reymond mit „La petite chambre“ und aus den USA kommt Zach Clark mit seinem Beach-Party-Film „Vacation!“.
Aus Frankreich kommen gleich sieben Filme und bilden damit einen Schwerpunkt im Programm: Matthieu Amalric präsentiert „Tournée“, seine neueste Regiearbeit; ferner „Copacabana“ von Marc Fitoussi, „Rendez-vous avec un ange“ von Sophie de Daruvar und Yves Thomas, „Tête de turc“ von Pascal Elbé, „Julien“ von Gael Lépingle und „Belle Epine“ von Rebecca Zlotowski sowie die Weltpremiere der Kinofassung (186 Minuten) von Olivier Assayas‘ Film über den meistgesuchten Terroristen seiner Zeit „Carlos – Der Schakal“.
Traditionell wird auch in diesem Jahr der Filmpreis der Stadt Hof vergeben, wie auch der Förderpreis Deutscher Film von HypoVereinsbank, Bavaria Film und dem Bayerischen Rundfunk für Leistungen „hinter der Kamera“ und der Eastman Förderpreis von Kodak GmbH für Nachwuchstalente; ferner der Preis für das beste Szenenbild, der vom Berufsverband der Szenenbildner, Filmarchitekten und Kostümbildner e.V. (S/F/K), dem „Szenenbild Studiengang“ der Filmakademie Ludwigsburg und dem „Szenografie Studiengang“ der HFF Potsdam-Babelsberg vergeben wird.
Das jährliche Fußballspiel zwischen dem FC Hofer Filmtage und der Hofer Auswahl findet am Samstag, den 30.10.2010 um 10:30 Uhr statt.