Süt /Milch
Türkei/Deutschland 2008, Regie: Semih Kapanoglu
„Süt/Milch“ ist der Mittelteil einer Trilogie: Teil 1 „Yumurta/Ei“ hatte 2007 in Cannes Premiere, Teil 3 „Bal/Honig“ wird sein Uraufführung im Rahmen der diesjährigen Berlinale haben. Im Zentrum der Filme steht Yusuf, der auf der Suche nach der Balance in seinem Leben ist. In „Süt“ lebt der Halbwüchsige bei seiner Mutter in einer anatolischen Kleinstadt. Sie leben mehr schlecht als recht von der Landwirtschaft. In Semith Kapalanoglus Film wird wenig gesprochen, lange Einstellungen und beeindruckend schöne Bilder beschwören einen gesellschaftlichen Stillstand – die Ruhe vor dem Sturm. Ein typisches Beispiel für den neuen türkischen Film, minimalistisch im formalen Ausdruck und skeptisch im Inhalt. Ein großartiger Film, der freilich vom Zuschauer ein Höchstmaß an Konzentration fordert!
Ein Sommer in New York (The Visitor)
USA 2008, Regie: Tom McCarthy
Professor Walter Vale hat sich nach dem Tod seiner Frau in ein seelisches Schneckenhaus verkrochen. Er meidet den Kontakt zu anderen Menschen, seine Vorlesungen und Seminare werden von ihm lieblos als reine Pflichtübungen erledigt. Eine Dienstreise nach New York versucht Vale erst einmal abzublocken. Vergebens. Er muss fahren. Nicht nur der Umstand der Reise, sondern auch die Stadtwohnung in Manhattan erfüllt ihn mit Unbehagen. Seit seine Frau gestorben ist, hat er sie nicht mehr betreten. Zu seiner großen Überraschung findet Vale in dem Appartement ein junges Pärchen aus Syrien. Flüchtlinge, wie sich später heraus stellt. Ganz gegen seine Natur als Misanthrop, lädt er sie ein bei ihm wohnen zu bleiben. „The Visitor“ (Deutscher Titel: „Ein Sommer in New York“) drehte Tom McCarthy ein kleines filmisches Wunderwerk! Die Beschreibung einer Annäherung jenseits gutmenschlicher Multikulti-klischees. Ein überzeugendes Plädoyer für die Gemeinsamkeiten im menschlichen Miteinander. Vale überwindet seine Depression mit Hilfe des jungen arabischen Musikers. Er trommelt sich frei! Nach seinem ebenfalls lange nachwirkenden Debut „The station agent“ zeigt der Schaupieler und Regisseur Tom McCarthy wieder unprätentiös gelebten Humanismus im Kino. Sein Hauptdarsteller Richard Jenkins – bisher einer der ständigen Nebendarsteller im amerikanischen Film der Gegen-wart (z. B. in „Burn after reading“) – war für seine Rolle des gebrochenen Professor Vale in „The Visitor“ im letzten Jahr für den Oscar nominiert.
Die Besprechung von „Ein Sommer in New York“ im SWR2 „Journal am Morgen“ am 14.1.20:
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Nanga Parbat
Deutschland 2009, Regie: Joseph Vilsmaier
Die Geschichte beschäftigt seit 40 Jahren die Justiz und die Boulevard-Journaille: war Bergsteigerstar Reinhold Messner Schuld am Tod seines Bruders Günther, der bei der gemeinsamen Erstbesteigung des Nanga Parbat im Himalaja 1970 tödlich verunglückte. Inzwischen weiß man, es war eine Verkettung unglücklicher Umstände. Ein klassischer Bergsteigerstoff, wie man ihn aus der Literatur und hundert Jahren Filmgeschichte kennt. Unter den wachsamen Augen Reinhold Messners hat Joseph Vilsmaier daraus einen Film gemacht. Wieder einmal ruft der Berg, der Tückische. Von Kindesbeinen an treibt es die Messner-Buben in die Höhe. Wobei der Reinhold besser kraxeln kann, als der Günther. Der Konflikt ist vorprogrammiert. Am Nanga Parbat schlägt das Schicksal zu. Hochmut kommt vor dem Fall in die Gletscherspalte. Seltsam gleichgültig filmte Vilsmaier (an Originalschauplätzen) die Tragödie. Verschwommen bleibt die Bergsteiger-Passion, die imposante Landschaft bloße Kulisse. Den sichtlich überforderten Hauptdarsteller Florian Stetter und Andreas Tobias nimmt man ihre Rollen auch nicht einen Moment ab. Dagegen war der an der Eiger-„Nordwand“ baumelnde Benno Fürmann eine künstlerische Offenbarung. Halten wir Joseph Vilsmaier zu gute, dass bei den Dreharbeiten zu „Nanga Parbat“ durch die schwere Krankheit und den frühen Tod seiner Frau und Mitarbeiterin Dana Vavrowa andere Sorgen hatte…
Übrigens zu den tragischen Ereignissen während der Nanga Parbat-Expedition von 1970 hat Hans Saler – er war als 22jähriger mit dabei – ein überaus spannendes Buch geschrieben, das jetzt bei Nymphenburger erschienen ist: „Gratwanderung meines Lebens“
(300 Seiten, 19.95€ – ISBN 978-3-485-01304-8)
Das Lied von den zwei Pferden
Deutschland 2009, Regie: Byambasuren Davaa
Mit „Die Geschichte vom weinenden Kamel“ und „Die Höhle des gelben Hundes“ hat die mongolisch-deutsche Filmemacherin Bayambasuren Davaa das hiesige Kino um intime Einblicke in das Leben und Wesen der Nomaden in der heutigen Mongolei bereichert. Dabei fand sie eine Form, die inzwischen Schule gemacht hat: die sichtbar inszenierte Dokumentation. Nach dem das zweimal ansehnlich funktionierte, wollte sie es wohl noch ein drittes Mal wissen: in ihrem neuen Film schickt Byambasuren Davaa die auch in der Bundesrepublik populäre mongolische Sängerin Urna Chahar-Tugchi auf die Reise durch die Äußere Mongolei: Urnas Großmutter musste während der Kulturrevolution in China ihre wertvolle Pferdekopfgeige zerstören. Übrig geblieben ist nur der Geigenhals, mit den Anfängen des uralten mongolischen Liedes „Von den zwei Pferden“. Der Film begleitet die Sängerin auf ihrer Suche nach dem Lied. In schickem Folklorelook ist sie mal zu Fuß, mal zu Pferde unterwegs. Dabei lernen wir wieder allerlei Sitten und Gebräuche der Mongolen kennen, bis das Lied dann endlich gefunden ist. Byambasuren Davaa überschritt bei „Das Lied von den zwei Pferden“ nicht nur einmal die Grenze zum Ethno-Kitsch. In den besten Momenten wurde daraus ein Promo-Film für die Sängerin Urna Chahar-Tugchi, die nicht an der Unterentwicklung ihres Selbstbewusstseins leidet. Nachdem inzwischen an Bildern von der wogenden mongolischen Weite kein Mangel mehr besteht, sollte sich eine talentierte Filme-macherin wie Bayambasuren Davaa jetzt einmal nach einem nichtmongolischen Thema umsehen….
Oscar Niemeyer – Das Leben ist ein Hauch
Deutschland 2007, Regie: Fabiano Maciel & Sascha
Über zehn Jahre hat der Regisseur den brasilianischen Star-Architekten („Brasilia“) begleitet. Mit dreijähriger Verspätung kommt der spannende Dokumentarfilm in unsere Kinos und wird gleichzeitig auch auf DVD veröffentlicht. Bei aller Hochachtung vor dem inzwischen 102-jährigen Genie achteten Fabiano Maciel und sein Produzent Sascha auf ange-nehme Distanz. Aufschlussreich und immer interessant lernen wir dabei viel über die Möglichkeiten und Grenzen moderner Architektur.
Jagdzeit – Den Walfängern auf der Spur
Deutschland 2009, Regie: Angela Graas
Gemeuchelte Delphine, beschädigte Flamingos, vom Klimawechsel in die Enge getriebene Pinguine und Wale, die von Containerschiffe in der Meerenge von Gibraltar überfahren werden. Das Leid der Tierwelt hatte in den letzten Monaten auch auf deutschen Leinwänden Konjunktur. Für diese Reportage begleitete die Regisseurin Greenpeace-Aktivisten bei ihrem Versuch, japanische Walfänger an ihrem blutigen Tun zu hindern. Dabei kam eine Dokumentation des Scheiterns heraus. Das ist in diesem Genre selten! Gibt dem Film aber eine beklemmende Authentizität. David hat es schwer gegen Goliath anzukommen …