Vergleichsweise unbeschadet hatte die Filmindustrie das Ende des NS-Regimes überstanden. Zwar waren die großen Studios in München und Babelsberg durch den Krieg beschädigt worden, aber die Branche selbst hatte kaum Schaden genommen. Das beträchtliche Vermögen der UFA sollte später die finanzielle Grundlage der bundesdeutschen Filmförderung bilden. Erstaunlich leichtfüßig fanden Produzenten wie Regisseure die noch vor Kurzem Goebbels dienstbare Geister waren, den Weg in die neue Zeit. Einen der ersten deutschen Nachkriegsfilme „Die Mörder sind unter uns“ drehte Wolfgang Staudte, der seine Karriere als Protege des Propaganda-Ministers und Regie-Assistent Veit Harlans bei „Jud Süss“ begonnen hatte. Die verlegenen Selbst-Entnazifizierungsversuche ehemaliger NS-Regisseure sind als „Trümmerfilme“ in die Geschichte eingegangen. Drei Schlüsselfilme über die Auseinandersetzung mit der Schuld aus der unmittelbaren Nachkriegszeit sind jetzt auf DVD erschienen: „Liebe 47“ (1948) bei Absolut Medien, „Der Ruf“ (1949),101Pixel und „Der Verlorene (1951), Arthaus/Kinowelt: „Liebe 47“ ist die Verfilmung des Hörspiels /Theaterstücks „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert. Die Uraufführung hatte 1946 unmittelbar nach dem Tod des Autors in Ida Ehres Hamburger Kammerspielen stattgefunden. Regie führte Wolfgang Liebeneiner. Während des „Dritten Reichs“ hatte er es zum Reichsfilmintendanten gebracht. Mit der filmischen Begründung des mörderischen NS-Euthanasie-Programms „Ich klage an“ war er dem Regime ebenso wie mit zwei revanchistischen „Bismarck“-Filmen zu Diensten gewesen. Nach 1945 inszenierte er dann das Stück des jungen Schriftstellers Wolfgang Borchert, der von den Nazis in den Tod getrieben wurde. So als wäre nichts passiert. Drei Jahre nach der Uraufführung drehte Liebeneiner auch die Filmversion von „Draußen vor der Tür“ unter dem Allerweltstitel „Liebe 47“ – routiniert, der Zeit und dem Stoff angemessen.
Gleich mehrfach setzte sich Josef von Báky nach dem „Zusammenbruch“ mit den Verbrechen der Nazis und dem Antisemitismus auseinander: meistens mit demselben Team, mit dem er den braunen Machthabern vor 1945 das Durchhaltemelodram „Annelie“ und den UFA-Jubiläumsfilm „Münchhausen“ geliefert hatte.
Bákys drehte „Der Ruf“ nach einem Drehbuch Fritz Kortners. Der jüdische Schauspieler war aus der Emigration zurückgekehrt und beschrieb hier, durchaus autobiographisch, wie der antisemitische Geist von Gestern im Heute weiter lebt. Kortner spielt in „Der Ruf“ auch die Hauptrolle. Ebenfalls mit der Absicht, zur Aufarbeitung des nazistischen Ungeistes beizutragen, war der Schauspieler Peter Lorre Anfang der 1950er Jahre in die Bundesrepublik zurückgekehrt. Als einer der wenigen deutschen Emigranten hatte Lorre in Hollywood Karriere gemacht. Mit „Der Verlorene“ wollte er zugleich seinen Traum, Regie zu führen, verwirklichen. Anders als Liebeneiner und von Báky hatte Peter Lorre die moralische Berechtigung, sich mit der Frage von Schuld und Sühne vor dem Hintergrund der jüngsten deutschen Geschichte auseinanderzusetzen. Im Vergleich zu „Liebe 47“ und „Der Ruf“ ist „Der Verlorene“ der düsterste Film, der kaum Hoffnung auf bessere Zeiten macht.
Gleichzeitig ein Schlüsselfilm der 1950er Jahre. Gemeinsam ist allen drei Filmen, das sie bei ihrer Uraufführung kein Publikum fanden und in den Regalen der Archive bzw. in den Analen der Filmgeschichte verschwanden. Das erklärt auch ihre zögerliche Veröffent-lichung auf DVD.
„Liebe 47“ ist versteckt auf der DVD „Schatten des Krieges – Innovation und Tradition im europäischen Kino 1940-1950“ bei Absolut Medien erschienen. Es handelt sich dabei um die Begleit-DVD zum VI. cinefest (Internationales Festival des deutschen Filmerbes 2009). Außerdem auf der Disc filmgeschichtliche Raritäten aus den Jahren 1942 bis 1949. Unter anderem der englische Wehrertüchtungsfilm „The new lot“ von Carol Reed (1943). Die DVD gibt es als Einzel-Disc mit ausführlichem Booklet (Absolut Medien, Preis: 19€) und als Beigabe zum Katalogbuch „Schatten des Krieges“, das im Verlag text+kritik erschienen ist (Preis: 25 €). „Der Ruf“ wurde von „101 Pixel“ veröffentlicht – in einer jeder Beziehung schlichten Edition. Aber: besser als gar nichts! Vorzüglich dagegen „Der Verlorene“ als Doppel-DVD in der Premium-Reihe von Arthaus/Kinowelt: Als Extra: Farun Farockis „Peter Lorre – Das doppelte Gesicht“ und die Dokumentation „Die Entstehung von Peter Lorres Film ‚Der Verlorene’ von Robert Fischer. Darüber hinaus aufschlussreiche Dokumente, wie Auszüge aus Lorres Arbeitsdrehbuch und ein informa-tives Booklett. Das Ganze, wie immer bei dieser Reihe schön verpackt: Preis: 22 €. Als Einzel-DVD gibt es den „Verlorenen“ innerhalb der „Edition deutscher Film“ von Arthaus billiger für 13 €.
Hören Sie dazu die Sendung aus der Reihe „SWRcont.ra DVD“:
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