Ein Mann mutiert durch eine Verkettung unglücklicher Umstände zu einer Monster-Fliege, ein anderer muss feststellen, das fremde Mächte von ihm Besitz ergreifen, das Fernsehen frisst seine Verbraucher, die Väter der modernen Psychiatrie brauchen selbst dringend professionelle Hilfe: im Kosmos des kanadischen Regisseurs David Cronenberg ist nichts und niemandem zu trauen. Selbst der ansonsten nette Armin Müller-Stahl entwickelt sich bei ihm zum sadistischen Russen-Paten. Das Etikett „Horrorfilm“ bezeichnet das, was Cronenberg in den letzten Jahrzehnten unter Titeln wie „Scanners“. „Videodrom“ oder „eXistenz“ gedreht hat, nur unzulänglich. Um einen Horror der besonderen Art geht es in „Maps of the Stars“, den Cronenberg unter anderem mit deutschem Geld realisieren konnte.
„Maps to the stars“ heißen in Los Angeles spezielle Stadtpläne, in denen die Villen gegenwärtiger und vergangener Stars verzeichnet sind – von Rudolfo Valentios Heimstatt, die unter Denkmalschutz steht, bis zum Renaissance-Schloß in Pink, in dem Tom Cruise residieren soll.
In so einem Stadtplan müsste natürlich auch die Weiss-Family mit ihrem neuen Haus verzeichnet sein: Das alte hat Tochter Agatha abgefackelt und sich dabei schwere Verbrennungen und einen langjährigen Aufenthalt in der Psychiatrie zu gezogen. Jetzt ist sie entlassen worden und lässt sich mit dem Taxi heimfahren.
Dabei kommt Agatha mit dem Fahrer – er heißt Jerome – ins Gespräch. Der ist eigentlich Schauspieler und mächtig stolz darauf, dass er eine kleine Rolle in der Primetime-Serie „Blue Matrix“ bekommen hat.
Selbst der Hinweis, dass es in der Folge mit ihm irgendwie auch 9/11 geht, kann Agatha nicht überzeugen. Im Moment hat sie auch andere Sorgen: Ihre Eltern sind über ihr Auftauchen nämlich nicht übermäßig entzückt.
Immerhin bekommt sie 18 000 Dollar monatlich Taschengeld. Da muss sie ja nicht auch noch zu Hause wohnen. Mutter Weiss ist als Managerin von Agathas kleinem Bruder Benji ziemlich beschäftigt. Der aufstrebende Kinderstar und Hauptfinanzier der Familie hat eben seinen ersten Drogen-Entzug hinter sich und leidet als Spätfolge unter Halluzinationen.
An einem ähnlichen Problem leidet auch Havanna Segrand, die nicht ganz so erfolgreiche Tochter eines berühmten Hollywood-Stars. Seit sie Mutters legendärste Rolle in einem Remake spielte, hat sie mit Verfolgungswahn zu tun. Um sie abzulenken, soll sie sich um Agathas Resozialisierung kümmern…
Was mit Havanna passiert, nach dem sie Jerome auf dem Rücksitz seiner Taxi-Limousine vernascht, Benji seine Star-Allüren zu Kopf gestiegen sind und was es mit diversen anderen Fährten auf sich hat, die David Cronenberg mit gewohnt aseptischen Bildern legt, darf nicht verraten werden.
Nur so viel: „Maps of the stars“ zeigt den Meister wieder ganz und gar auf der Höhe seiner Kunst. Unter der delikaten Oberfläche tun sich Abgründe auf. Das Drehbuch verfasste mit bewährtem Zynismus der amerikanische Schriftsteller Bruce Wagner. Julienne Moore, Robert Pattingson, Mia Wasikowska und John Cusack merkt man in jedem Moment an, das sie mit großer Lust bei der bösen Sache waren.
In Deutschland kann man sich ab 11. September mit dem „Maps to the Stars“ durch die Psychopathologie einer durch und durch verkommenen Gesellschaft navigieren lassen.