Die belgischen Regisseure Jean-Pierre & Luc Dardenne gehören zu den gegenwärtig wichtigsten Filmemachern nicht nur Europas, sondern der Welt. Seit 1987 drehen sie ein Meisterwerk nach dem anderen. Dabei erzählen sie universelle, einfache Geschichten, die die beiden Brüder aber mit einem unverwechselbaren Stil und mit höchster Perfektion inszenieren. In den letzten Jahren haben die Dardennes alle ihre Film bei den Filmfestspielen von Cannes uraufgeführt und regelmäßig bei den Spitzenpreisen abgeräumt – allein zweimal die „Goldene Palme“. Gestern Abend hatte ihr neuer Film „Zwei Tage, eine Nacht“ in Cannes Premiere….
Bei sämtlichen Filmen, die ich in den letzten acht Tagen in Cannes gesehen habe- bei den weniger guten ebenso eie bei den guten, ist es vorgekommen, das ich mich mit einem Blick auf die Uhr vergewissert habe, wie lange es denn noch dauert, bis der Vorhang im Palais du Festival diesmal fällt. Zum ersten Mal in diesem Jahr, habe ich bei „Deux jours, une nuit/Zwei Tage, eine Nacht“ von Jean-Pierre und Luc Dardenne Zeit und Raum vergessen.
Eine cineastische Sternstunde, wie man sie in der Massenhaftigkeit der bunten Bilder heutzutage nur selten erlebt! Nach so wunderbaren Filmen wie „Rosetta“, „Der Sohn“, „Das Kind“ oder „Lornas Schweigen“ haben sich die Zwillinge aus Belgien noch einmal gesteigert!
Eine junge Frau, sie heißt Sandra, erfährt am Freitagnachmittag das ihr der Job gekündigt wird. Personaleinsparung angesichts rückläufiger Auftragslage. So die offizielle Erklärung. Inoffiziell ist es kein Geheimnis, dass Sandras Depressionen den Ausschlag gegeben haben… Alarmiert stellt Sandra ihren Chef zur Rede.
Der gibt ihr den zynischen Tipp, sie könne ja ihre Kollegen dazu bewegen, auf einen Teil des Gehalts zu verzichten, um damit ihre Stelle zu finanzieren. Allerdings müsste er die Verzichterklärungen am Montagmorgen schriftlich auf seinem Schreibtisch haben. Also in „Zwei Tagen und einer Nacht“.
Nach dem ersten Schock macht sich Sandra mit Hilfe ihres Mannes auf zur peinlichen Tour d’horizon zu den Kollegen. Einige sind verständnisvoll, andere lassen sich verleugnen oder knallen ihr die Tür vor der Nase zu. Zunehmend demoralisiert,sucht Sandra einen Kollegen sogar am Sonntagmorgen auf dem Fußballplatz auf.
Der bringt es auf den Punkt: niemand hat in dieser Zeit Geld übrig oder etwas zu verschenken. Solidarität hört dann auf, wenn es den eigenen Geldbeutel betrifft.
Das Erstaunliche an „Zwei Tage, ein Nacht“ ist nun, das Jean-Pierre & Luc Dardenne aus dieser Fußnote des Arbeitsalltags eine zutiefst berührende und letzten Endes sogar hoffnungsvolle Odyssee gemacht haben. Dicht in der Atmosphäre von der ersten bis zur letzten Minute, unaufgeregt und perfekt auf den Punkt inszeniert. Da stimmt jede Nuance. In der Beschränkung auf das Wesentliche wird großes Kino. Nicht zu vergessen: Marion Cotillard als Sandra!
Den deutschen Fernsehanstalten kann dieser Film nicht nachhaltig genug zur Fortbildung ihrer Fernsehspielredaktionen empfohlen werden, die Protagonisten wie Sandra mindestens ein Kindheitstrauma, einen dementen Schwiegervater und kiffende Kinder bzw. zumindest einen Serienkiller in der Nachbarschaft mit auf den Weg geben.
Die Dardenne-Brüder geben Anschauungsunterricht, wie auch ohne derlei Zutaten ein Meisterwerk zustande kommt. Ab September ist „Zwei Tage, eine Nacht“ auch in Deutschland zu sehen!