Deutschland 2014
Regie: Jan Schomburg
Mit Maria Schrader, Johannes Krisch, Ronald Zehrfeld, Sandra Hüller
Kinostart: 1. Mai 2014
Geistige und körperliche Behinderungen von unterschiedlichem Schweregrad, angeboren oder im Laufe des Lebens aufgetreten, sind seit einigen Jahren auch für Filmemacher kein Tabu mehr. Zuletzt interpretierte Klaus Maria Brandauer den Verfall einer Persönlichkeit durch Demenz; erst vor wenigen Wochen spielte in „Gabrielle“ eine junge Darstellerin mit dem seltenen Williams-Beuren-Syndrom sich selbst. Ab dieser Woche ist nun Maria Schrader in dem neuen deutschen Film „Vergiss mein ich“ zu sehen, im sie eine Frau mit „Retrograder Amnesie“ verkörpert. Dabei tritt eine massive Veränderung der Persönlichkeit auf und hat – ähnlich wie bei Demenz – Gedächtnisverlust zur Folge. Regisseur von „Vergiss mein ich“ ist Jan Schomburg, der sich 2011 mit seinem Debut „Über uns das All“ als ungewöhnliches Talent vorstellte.
Bei seinem neuen Film „Vergiss mein ich“ bewegt sich der experimentierfreudige Jan Schomburg (Jahrgang 1976) auf dünnem Eis: Er nimmt die heimtückische „Retrograde Amnesie“, die jeden, jederzeit treffen kann, zum Anlass für einen leichthändig erzählten Beziehungs-Reigen. Erstaunlich sicher hält er ihn bis zum Schluss durch. Nonchalant ignoriert Schomberg die Frage, ob derlei statthaft ist.
Lena bricht auf einer Party zusammen. Im Krankenhaus wird eine Virusinfektion des Gehirns diagnostiziert. Die Folge davon ist „Retrograde Amnesie“. Ratlosigkeit bei Mann, Freunden und Verwandten.
So fangen viele Filme an, die mehr oder weniger elegant „Behinderung“ als Schicksalsschlag für den Betroffenen selbst und seine Angehörigen beschreiben. Dem verweigert sich Jan Schomburg im weiteren Verlauf von „Vergiss mein ich“. Die von Maria Schrader gespielte Lena entdeckt mit ihrer krankheitsbedingten Wesensveränderung eine ganz neue Lebensqualität.
Nicht nur Lenas Höhenangst ist verschwunden, sondern auch die Abhängigkeit vom Gatten Tore. Deshalb nimmt sie die ziemlich plumpen Avancen eines gut aussehenden jungen Mannes – in Gestalt von Ronald Zehrfeld – gerne an und berichtet voll Be-friedigung ihrem Mann davon. Dessen Begeisterung hält sich verständlicher Weise in Grenzen.
Behinderung als Lebenschance, ausgetretene Wege zu verlassen und zu neuen Ufern aufzubrechen. Darüber lässt sich durchaus nachdenken! Es ist auch nicht so, das Schomburg mangelnde Sensibilität vorzuwerfen wäre oder das er mit die Auswirkungen der „Retrograden Amnesie“ verharmlosen würde. Ganz im Gegenteil! Sein unkonventioneller Ansatz liefert Diskussionsstoff!
Wer sich auf sein Experiment einlässt und seinen Film als solches annimmt nimmt, der kann „Vergiss mein ich“ mit Gewinn betrachten und als befreiend empfinden. Andererseits kann man sich über die bisweilen überpointierte Naivität auch von Herzen ärgern!