Kein anderer Politiker in der Schweiz hat in den letzten Jahrzehnten derart für Schlagzeilen gesorgt wie der Unternehmer und Politiker Christoph Blocher. Mit seiner „Schweizer Volkspartei (SVP)“ besetzte er den politisch rechten Rand im Land der Eidgenossen. Populistisch verhinderte Blocher den EG-Beitritt der Schweiz und sorgte für eine drastische Verschärfung des Asylrechts, in dem er die Überfremdungsängste in der Bevölkerung schürte. „L’experience Blocher“ ist der Titel eines neuen Dokumentarfilms, der gestern Abend in Locarno uraufgeführt wurde und einen zeitweiligen Ausnahmezustand bei den zurzeit stattfindenden Filmfestspielen auslöste…
Zu Blochers besten Zeiten kam nicht einmal ein versierter Talkmaster wie Roger Schawinski gegen den Politiker und mehrfachen Milliardär an. Christoph Blocher liebt die Öffentlichkeit und öffentliche Auftritte. Er polarisiert wie kein anderer Politiker in Schweiz. Ein Demagoge wie er im Buche steht. Deshalb war die Leitung der Filmfestspiele von Locarno nicht begeistert, als Blocher seinen Besuch der Premiere des Films „L’Experiance Blocher“ angekündigte. Der für die Filmauswahl des Festivals zuständige Direktor Carlo Chatrian betonte:
Man habe Blocher nicht eingeladen. Könne ihm auch nicht verbieten zu kommen. Eingeladen sei der Film und sein Regisseur Jean-Stéphane Bron.
Der Regisseur („Mais im Bundeshus“) antwortete auf die Frage, ob er Christoph Blocher als „Biedermann und Brandstifter“ im Sinne des Schweizer Schriftstellers Max Frisch bezeichnen würde:
„Das fast militante Engagement Frischs ist meine Sache nicht. Mir geht es nicht um Demontage, sondern darum Fragen nach dem Wesen einer Persönlichkeit zu stellen“.
Während am späten Vormittag die Pressekonferenz zu „L’Experience Blocher“ stattfindet, riegelt die Polizei die Piazza Grande bereits weiträumig ab. Es liegt Spannung in der Luft. In der Vergangenheit hat Blocher Straßenschlachten zwischen Linken und Rechten ausgelöst.
Am Abend ist die Piazza Grande – unter Aufsicht einer Polizeihundertschaft – bis auf den allerletzten der 8000 Plätze besetzt. Während aus den Lautsprechern Musik aus der italienischen Fernsehserie „Allein gegen die Mafia“ dröhnt, wird der Einzug Christoph Blochers und seiner Entourage mit ostentativem Schweigen begleitet.
Vor der Vorführung von L’experience Blocher appelliert Regisseur Jean-Stéphane Bron an das Auditorium ohne Namen Blocher zu nennen…
Er sei sich sicher, dass das Publikum sich unter Kontrolle habe und sich über die Werte von Demokratie und des gemeinsamen Erlebens von Film im Klaren sei. Deshalb habe er diesen Film gemacht…
Dann der Film: Keine Kampfinterviews, kein Versuch, Christoph Blocher vor laufender Kamera bloß zu stellen. Und doch ist „L’experience Blocher“ ein Lehrstück über einen Politiker, dem Skrupel fremd sind. Dem von einer wehrhaften Demokratie aber das Handwerk gelegt wird. Am Ende nur vereinzelt Applaus. Während und nach der Vorführung kein Eklat! Da können wir von der Schweiz in Sachen Demokratieverständnis doch noch Einiges lernen…