Isabell, 17, Tochter aus gutem südfranzösischem Hause führt ein Doppelleben: anstatt nach der Schule Hausaufgaben zu machen, geht sie als Lea auf den Escort-Strich. Das heißt, sie lässt sich via Internet von älteren Herren zu allerlei Lustbarkeiten in Hotels engagieren. Den Verdienst hortet sie, um sich dann und wenn etwas besonders Schickes zum Anziehen leisten zu können. In Los Angeles kommt ein Trupp Jugendlicher auf die Idee, in die Villen von superreichen Hollywoodstars von Paris Hilton bis Orlando Bloom einzusteigen, um sich aus deren Fundus edler Klamotten und teuren Accessoires zu bediene. Wann die Herrschaften außer Haus sind, entnehmen die Mitglieder der „Bling Ring“-Bande den Klatschnachrichten im Internet. Im Gegensatz zu diesen Luxus-Kindern geht es zwei jungen Männern in Mexiko-City bei ihrer Verletzung der gesellschaftlichen Spielregeln um die pure Sicherung ihrer familiären Existenz. Allen gemeinsam ist ein böses Erwachen und sie sind ihren Wünschen und Hoffnungen weiter entfernt als zuvor…: Der Auftakt des „66. Festival de Cannes“
Gemessen an den meisten seiner bisherigen Filme ist „Jeune & Jolie“ ein verhältnismäßig konventionell erzähltes Werk von Francois Ozon, das es freilich in sich hat: die 17jährige Isabelle lebt mit unwesentlich jüngerem Bruder in einer „Patchwork“-Familie. Der leibliche Vater ist fern, Mutters neuer Lebensgefährte wenig beliebt.
Die ausnehmend hübsche – und mit etwas Makeup nachgeholfen – auch älter aussehende Isabelle hat festgestellt, dass man durch Prostitution das ohnehin nicht ganz knappe Taschengeld erheblich aufbessern kann. Durch unglückliche Umstände kommt das „Doppelleben“ ans Licht. Mutter ist entsetzt, Isabelle nimmt es als wichtige Erfahrung auf dem Weg zum Erwachsen werden ziemlich gelassen.
Da zeigt sich der Meister! Ozon gelingt es mit gewohnter Eleganz die Untiefen des Sujets zu umschiffen. Zum Beispiel ereilt einen von Isabelles Kunden beim Orgasmus der Exitus. Nein, es kommt nicht wie bei Dörries „Glück“ das elektrische Küchenmesser zum Einsatz! Auch der Schluss zeugt von Ozons Kunst! „Jeune & Jolie“: nichts weltbewegend Großes, aber angenehm anzusehen. Mit der ausgesprochen hübschen Entdeckung Marine Vacth in der Hauptrolle.
Nach dem albernen Trailer war man bei Sofia Coppolas „The bling Ring“ (Eröffnung: „Un certain Regard“) auf Schlimmes gefasst und wurde dann auf das Angenehmste eines Besseren belehrt. Ein bizarrer realer Kriminalfall, der die amerikanische Öffentlichkeit bewegte, diente als Grundlage: eine Gruppe Jugendlicher stieg Nächtens in die Villen der Superreichen auf den Hügeln von Los Angeles ein und deckte sich mit teuren Klamotten angesagter Label von Prada bis Versage ein; auch die Rolex-Sammlung von Orlando Bloom ließen sie mitgehen.
Leider hatten die Halbwüchsigen – durchweg aus begüterten Familien – nicht bedacht, dass die Häuser videoüberwacht werden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihnen die Polizei auf die Schliche und sie mehrjährig in den Knast kamen… Bemerkenswert: Promis lassen in den USA immer mindestens eine Terassentür unverschlossen, wenn sie nicht zu Hause sin…
Sowohl Ozon als auch Coppola führen eine Generation vor, die sich narzisstisch um sich selbst dreht. Die Hochglanzwerbung zu ihrem Lebensmittelpunkt macht, mit angesagten Klamotten und Designer-Sonnenbrillen. Wie die Jungen sind auch die Alten voll und ganz mit sich selbst beschäftigt und dankbar wenn sich der Nachwuchs selbst beschäftigt…
Cannes am ersten Tag: zwei Filme über junge Leute, die zwar als ziemlich clever vorgeführt werden, aber auch so unsympathisch wie schon lange nicht mehr. Unterhaltend und dabei etwas eindimensional nach dem Motto: Seht her: die Jugend von heute!
Inzwischen wissen wir zur Genüge, das in Mexiko die Drogen-Mafia gerne zu schwerem Gerät greift – Kettensägen – um Feinden und Abweichlern ein schreckliches Ende zu bereiten. Da knüpft die deutsch-französisch-mexikanische Koproduktion „Heli“ von Amat Escalante an, der zum Auftakt der Königsklasse in Cannes, dem „Internationalen Wettbewerb“ gezeigt wurde: ein junger Polizist sackt bei einer Razzia ein paar Pakete Heroin ein. Sein Schwager Heli beseitigt den gefährlichen Stoff.
Zu spät, die korrupten Polizistenkollegen sind bereits zur Stelle und liefern die beiden jungen Männer, nebst jungem Mädchen – Helis kleine Schwester und Freundin des Anderen – den Mafia-Hilfskräften aus.
Wir ahnen, was jetzt kommt! Die ersten KollegenInnen verlassen das Kino. Sie verpassen eine neue Dimension von Sadismus auf der Leinwand. Einem der Delinquenten wird die Hose ausgezogen, sein Geschlechtsteil mit Benzin übergossen und angezündet. Da hilft nur die Frage nach der Art und Weise der digitalen Bildbearbeitung, um das derart realistisch in Großaufnahme hinzubekommen. Dass der Geschundene anschließend an einer Brücke aufgehängt wird, kann da kaum noch erschüttern…
Also: so richtig begeistert hat der Auftakt nicht! Aber die Höhepunkte können ja noch kommen…
Die spannendsten Momente des bisherigen Festivalverlauf erlebten die Journalisten heute Morgen ohnehin im Foyer des Palais du Cinema: weil es in Strömen regnete, hatte jeder Zweite einen Regenschirm dabei. Die mussten an den Garderoben abgegeben werden. Das ging einigermaßen zügig. Die Abholung nach dem Film dagegen weniger. Zwei Damen hinter dem Tresen näherten sich bedrohlich dem Nervenzusammenbruch, als auf einen Schlag zirka 1000 Journalisten nach ihren Parapluis verlangten. Ein Deutschland hätte es Tote gegeben – aber in Frankreich nicht! Da ist eben doch der liebe Gott zu Hause…