In vorbildlichen Editionen liegen die meisten Filme von Rainer Werner Fassbinder inzwischen auf DVD vor. Sogar die monumentale Döblin-Verfilmung „Berlin Alexanderplatz“. Mit der Veröffentlichung von „Welt am Draht“ ist jetzt eine weitere Lücke geschlossen worden. Fehlen also (von kleineren Arbeiten abgesehen) nur noch „Querelle“ und „Wildwechsel“. Beides hängt mit der komplizierten Rechtslage zusammen. Rainer Werner Fassbinder drehte „Welt am Draht“ 1973 als Zweiteiler für das Hauptabendprogramm der ARD im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks. Grundlage war der Roman „Simulacron III“ von Daniel F. Galouye. Der geniale Regisseur machte daraus einen Science-Fiction Film, der stilbildend wirken sollte und großen Einfluss auf das Genre vor allem in den USA hatte. So wäre „Matrix“ zum Beispiel ohne Fassbinder nicht denkbar. Der Inhalt:
Mit staatlicher Unterstützung arbeitet ein Softwarekonzern, der sich „Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung“ nennt, an einem revolutionären Computerprogramm, mit der ökonomische und damit auch gesellschaftliche Entwicklungen exakt vorausberechnet werden können. Es heißt „Simulacron“: Das Programm wurde von Professor Vollmer entwickelt, der unter seltsamen Umständen stirbt. Sein Nachfolger wird Dr. Stiller. Mit Stiller geschieht Seltsames. Er glaubt, das sich die Welt um ihn herum verändert. Menschen scheinen plötzlich zu verschwinden, wie der Sicherheitschef des Instituts. Doch niemand außer Stiller scheint diese Erfahrung zu machen. Nur er ahnt, das „Simulacron“ dabei ist, sich der Kontrolle zu entziehen und sich in ein eigenes virtuelles Machtsystem entwickelt. Selbst die Konzernspitze des Instituts ist langsam beunruhigt: In der Öffentlichkeit versucht man noch abzuwiegeln:
Was ist wirklich, was gelogen, computersimuliert oder Realität? Hängen wir alle an unsichtbaren Drähten? Mit höchstem Raffinement spielte Fassbinder in „Welt am Draht“ mit den Ängsten und Schrecknissen totaler elektro-nischer Kontrolle und entzieht, nicht nur allen Beteiligten, sondern auch dem Zuschauer den Boden unter den Füssen. Gedreht in einer Zeit als Google und Facebook noch unbekannt waren, eine kühne Vision.
Verschwörungsängste, eine Welt, die im virtuellen Chaos zu versinken droht, eine Technologie, die sich menschlichem Ermessen entzieht. Das alles komprimierte Fassbinder in „Welt am Draht“. Inszeniert ohne digitale Effekte und 3D. Trotzdem unmittelbarer als viele der seelenleeren Fließband-Produktionen zu diesem Thema in der Gegenwart. In den Hauptrollen neben seinem engen Kreis der Family – Ingrid Caven, Uli Lommel und Kurt Raab – aber auch deutsche Altstars wie Adrian Hoven und Ivan Desny. In der Hauptrolle des Stiller Kurt Löwitsch, der damit seine Karriere begann.
Im Bonusteil der ausgezeichneten 2-Dis-DVD-Edition „Welt am Draht“ erinnert sich Kameramann Michael Ballhaus an die Dreharbeiten. Im Booklet, das der Edition beiliegt ,schreibt der Filmwissenschaftler Bernd Perplies: „WELT AM DRAHT ist Science-Fiction für den Kopf, nicht für die Augen“. Über Rainer Werner Fassbinder selbst gibt es eine Dokumentation von 1977.
Es hat lange gedauert, bis Fassbinders „Welt am Draht“ wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte. Das ist dem uner-mütlichen Engagement der Nachlassverwalterin Juliane Lorenz zu verdanken. Da es sich dabei um eine reine TV-Produktion handelte, waren nicht nur technische – MAZ-Bänder sind leicht verderbliche Ware – sondern auch immense rechtliche Hürden zu überwinden. Juliane Lorenz stellte die restaurierte Fassung von „Welt am Draht“ diese Woche im Rahmen der Berlinale vor. Bei dieser Gelegenheit sagte sie zum Hintergrund:
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Die „Welt am Draht“ ein Schlüsselwerk des modernen Science-Fiction-Film auf zwei DVDs mit reichlich Extras in einer Edition, die keine Wünsche offen lässt – von Arthaus/Kinowelt. Preis: 18 Euro.
Fassbinders Dreh-buch ist eben im Verlag Matthes & Seitz (16.80 Euro) erschienen. Die Vorlage bei Goldmann.