Frankreich/Kanada 2012
Regie: David Cronenberg
Mit Robert Pattinson, Juliette Binoche, Sarah Gardon, Mathieu Amalric
Kinostart: 5. Juli 2012
Die Ermordung John F. Kennedys, der 11. September oder ein simples Baseball-Spiel dienen dem amerikanischen Schriftsteller Don DeLillo als Vorlagen für Innenansichten der Gesellschaft in den USA. Seine Kunst der sprachlichen Nuancen und Zwischentöne haben ihn zu einem der wichtigsten Autoren der Gegenwart gemacht. In dem 2004 zum ersten Mal erschienenen Roman „Cosmopolis“ entwarf DeLillo das düstere Panorama einer Welt, die von Finanzhaien in den Abgrund gerissen wird. Seine literarische Vision ist inzwischen von der Wirklichkeit eingeholt worden. Die Verfilmung von „Cosmopolis“ durch David Cronenberg wurde bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes uraufgeführt und ist ab dieser Woche auch in den deutschen Kinos zu sehen.
„Er wusste nicht, was er wollte. Dann wusste er es. Er wollte sich die Haare schneiden lassen…“ So schickt Don DeLillo in „Cosmopolis“ den jungen erfolgreichen Börsenspekulanten Eric Packer (Robert Pattinson) in einer weißen Stretchlimousine quer durch Manhattan. Das Auto ist für Packer Zuhause und Büro in einem. Hier empfängt er Mitarbeiter, seinen Sicherheitsbeauftragten, seltener die Gattin und Damen für Liebesdienste.
Heute ist kein normaler Tag; der amerikanische Präsident ist in der Stadt. Das sorgt auf Grund der verstärkten Sicherheitsvorkehrungen für einen Kollaps des Straßenverkehrs; außerdem kündigen sich Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten an. Entgegen allen Erwartungen steigt der der Kurswert des Yen; westeuropäische Währungen geben nach. Damit hat Eric nicht gerechnet…
Aber er hat gute Nerven: während der abgebrühte Finanzhai auf der Fahrt im Auto mit seiner Strategieexpertin Elise (Sarah Gadon) die ungute Lage bespricht, untersucht sein ebenfalls zugestiegener Urologe den Zustand seiner Prostata. Es ist nichts Ernstes; nur ein bisschen „asymmetrisch“, meint der Doktor. Die Börsenkurse sind inzwischen völlig aus dem Lot geraten und damit das Leben des Börsianers. Inzwischen schleicht die Stretchlimousine im Schritttempo durch von einem zum anderen Ende Manhattans. Die Atmosphäre in der Stadt ist aggressiv aufgeladen. Die Menschen sind aufgebracht. Auch Packers schickes Auto wird von Demonstranten attackiert: Er verfolgt in seiner mobilen gepanzerten Festung auf den Monitoren die rasante Talfahrt in eine internationale Finanzkrise….
Als DeLillo seinen Roman „Cosmopolis“ 2003 zum ersten Mal veröffentlichte, erschien die beschriebene Wirtschaftskrise als pure Science Fiction, die von zynischen Bankern des New Economy aus-gelöst wird. Inzwischen haben uns Lehman Brothers und Konsorten eines Besseren belehrt. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung hat David Cronenberg „Cosmopolis“ verfilmt. Als eiskaltes Lehrstück über einen Banker, der sich an der Macht des Geldes und dem Spiel mit dem Risiko berauscht. Wobei er sich weitgehend an die vom Roman vorgegeben Handlungsabläufe hält. Eine Fahrt in den Abgrund einer Gesellschaft. Dabei spielt der klaustrophobische Höhlencharakter von Parkers mobilisiertem Büro eine wesentliche Rolle. Die Besetzung der Hauptrolle mit Robert Pattinson, dem Teeny-Schwarm aus der „Twilight“-Serie, ist eine interessante Wahl: Smart, schön und aalglatt verkörpert er Eric Packer als gnadenlosen Kapitalisten, der über Leichen geht: Auch ein Vampir!
Keine Frage, dass sich die Romane von Don DeLillo in ihrer sprachlichen Raffinesse im Prinzip einer Verfilmung entziehen. Am ehesten noch „Cosmopolis“ mit seiner stringenten Handlung, dem überschaubaren Rahmen und einer Hauptfigur, die in den Untergang fährt. Das machte sich Cronenberg intelligent zu Nutze. Wie er mit den visuellen Möglichkeiten des Innen und Außen spielt, ist beein-druckend und trifft den Charakter der Vorlage auf einer nonverbalen Ebene.
Nach „Nacked Lunch“ (nach Burroughs) und „Crash“ (nach Ballard) ist „Cosmopolis“ die dritte Verfilmung eines schwierigen Stücks Literatur der Gegenwart durch Cronenberg. Er beweist auch diesmal wieder dabei sein Ausnahmetalent: aus großer Literatur ist wieder großes Kino geworden!